„Space Dogs“ macht betroffen und rüttelt auf
Laikas Geist
Tierversuche zählen zum Schlimmsten, wozu der Mensch im Zeichen von Wissenschaft und Fortschritt fähig ist. Am 3. November 1957 schossen die Sowjets an Bord der Sputnik 2 die Mischlingshündin Laika ins All. Es war eine Selbstmordmission für das Tier. An Bord der Raumkapsel, in einer überhitzten, beengten Druckkabine zog Laika ihre Erdumdrehungen Tausende Kilometer über den heimatlichen Straßen Moskaus. Irgendwann erstickte die Hündin, irgendwann verbrannte die Kapsel in der Erdatmosphäre.
Gezeigt wird dies zum Glück nicht. Aus dem Off setzt aber die Stimme eines russischen Erzählers ein (mit englischen Untertiteln). Der Sprecher sagt, dass Laika beim Verglühen zum Geist wurde. Ein Geist, der sich herabsenkte und in den heutigen Streunern der russischen Hauptstadt weiterlebt?
Hundeleben in Moskau
Diese märchenhafte Rahmenhandlung dient als Brücke zum Moskau der Gegenwart, wo zwei Hunde begleitet werden, wie sie durch die Straßen streunen. Ein hinkender, ruhigerer und ein Wildling. Später kommen noch weitere Hundecharaktere hinzu. Die Streuner koexistieren mit den Menschen recht konfliktfrei, werden von Zeit zu Zeit mit Essensabfällen gefüttert. Ansonst gehen Vier- und Zweibeiner getrennte Wege. Koexistenz, mehr Neben- als Miteinander. Wie die Hunde untereinander agieren und reagieren, ist interessant zu beobachten. Es gibt durchaus Gelegenheit zum Schmunzeln. Was ich dem Film ankreide, ist jene Szene, in der ein Hund eine Katze tötet. Ja, Natur ist grausam, aber weniger Voyeurismus wäre hier pietätvoller gewesen.
Archivmaterial aus der Raumfahrt
Während „Space Dogs“ die meiste Zeit ohne menschliche Stimmen, akustisch nur untermalt von Autogeräuschen bzw. canidischem Gebell, Geknurre und Gewinsel auskommt, kehrt der russische Sprecher aus dem Off stellenweise wieder, um seinen Legendenstrang fortzuspinnen. Dann etwa, wenn gezeigt wird, wie Laikas Leidensgenossinnen für die Flüge in den Orbit trainiert bzw. präpariert wurden. Die Gesichter der Hündinnen sagen alles: sanfte Verzweiflung. Die meisten kehrten nicht zur Erde zurück, einige schafften den Wiedereintritt lebendig. Wenn sie entgurtet, gefüttert und getätschelt werden, ist das umso schauriger. Man sieht Menschen, die sich ihres Verbrechens am Tier gar nicht recht bewusst waren. Laika galt als Heldin der Sowjetunion, als erstes Lebewesen, das die Erde umrundete.
Genossin Leidensgenossin rüttelt auf
Für mich liegt die Stärke von „Space Dogs“ in der Botschaft, die der Film transportiert. Hier wird jedes Disney-Idyll, jedes Happy Ending durch eine ernüchternde Realität überblendet. Sei es die weitgehende Gleichgültigkeit gegenüber den Streunern von heute oder die wissenschaftlich motivierte Grausamkeit gegenüber Laika und ihren Leidensgenossinnen in der Sowjetära – Genossin Leidensgenossin, quasi.
Doch auch das US-Raumfahrtprogramm kommt nicht gut weg. Was im Osten die Hunde waren, waren im Westen Schimpansen.
Ist dieses filmische Aufrütteln beabsichtigt? Ich weiß es nicht. Wer über ein Mindestmaß an Empathie für nichtmenschliches Leben verfügt, wird aber nicht umhinkommen, sich einen Spiegel vorzuhalten. Ist unsere Spezies wirklich so kalt? Ist es ihr Naturzustand? Sind Mitgefühl und Liebe eher die Ausnahmen? Tun wir als Einzelne genug, um auf diese Missstände und Verbrechen an Tieren aufmerksam zu machen? Gibt es auch eine ethische Evolution des Menschen – hin zum Besseren? Aus mir quollen diese Fragen nach Verlassen des Kinos hervor, so als hätte mich Laikas geplagter Geist inspiriert. Ich habe euch gewarnt, es ist kein Film zum Wohlfühlen, aber einer zum Aufwachen und Handeln!
Zum Film
„Space Dogs“ startete beim Filmfestival Locarno und bei der Viennale 2019. Aufgrund der Corona-Pandemie läuft er 2021 verspätet in den Kinos an.
Regie, Buch & Produktion
ELSA KREMSER, LEVIN PETER
91 Minuten
Alle weiteren Infos sowie Vorführungstermine findest du hier.