Die blutige Spur der Wolle
Zuerst ein Wort zur Umweltfreundlichkeit von Wolle: Die wird allgemein völlig falsch eingeschätzt. In der made-by-Benchmark, die bewertet, wie ökologisch Textilfasern sind, rangiert Wolle in der schlechtesten Klasse E. Siehe den Artikel „Kunstfaser oder Naturmaterial?“.
Das Haarkleid der Schafe
Schafe wurden von der Natur nicht geschaffen, um regelmäßig geschoren zu werden. Ohne die Einmischung des Menschen bekommen die Schafe nur so viel Wolle, wie sie benötigen, um sich gegen extreme Witterung zu schützen. Das Wollvlies isoliert den Körper der Tiere sowohl gegen Kälte als auch gegen Hitze. Ursprünglich wurde Wolle gewonnen, indem man es den Schafen während der Mauser (natürlicher Fellwechsel) auskämmte. Das Züchten zum Erzielen eines ständigen Vlieswachstums begann erst nach der Erfindung der Schermesser.
Die Schafschur
Nur wenn die Tiere von Hand, von geschulten Leuten und mit der nötigen Zeit und Achtsamkeit geschoren werden, können Schnittverletzungen vermieden werden. Ansonsten ist die Schur eine sehr unangenehme und schmerzhafte Prozedur für die Tiere. Sobald Wirtschaft (Profit, Akkordarbeit) und Tiere aufeinander treffen, müssen Tiere systemgemäß leiden: Zeit ist Geld und deshalb „kann“ auf Befindlichkeiten der Tiere (Schmerz, Todesangst, Verzweiflung) keine Rücksicht genommen werden.
Wie Undercover-Recherchen immer wieder zeigen, werden Schafe bei der Schur brutal behandelt, verletzt und traumatisiert. Die internationale Tierrechtsorganisation PETA hat in einer Recherche 2015 nachgewiesen, dass in Argentinien Lämmer sogar bei lebendigem Leib gehäutet werden. Auch auf anderen argentinischen Schaffarmen hat PETA grausame Praktiken aufgedeckt, so werden den Schafen standardmäßig die Schwänze ohne Narkose abgeschnitten: siehe www.peta.de
Mulesing – Verstümmelung ohne Narkose
Der größte Wollproduzent der Welt ist Australien mit mehr als 100 Millionen Schafen. Die Herden bestehen in der Regel aus tausenden von Tieren. Rund ein Viertel der gesamten weltweit verkauften und verarbeiteten Wolle kommt aus Australien. Noch höher ist der Weltmarktanteil Australiens bei der bekanntesten Wollart, der Merinowolle – die Hälfte der weltweit verkauften Merinowolle stammt aus Australien!
Die Merinoschafe wurden hochgezüchtet, um besonders viel Wolle zu liefern, sie haben deshalb besonders viele Hautfalten. Im heißen Klima Australiens bedeutet das aber gleichzeitig, dass viele Tiere an Überhitzung sterben. In den gezüchteten Hautfalten wiederum sammeln sich Urin und Feuchtigkeit. Davon angezogen legt eine bestimmte Fliegenart ihre Eier in den Hautfalten ab. Die geschlüpften Larven ernähren sich dann vom Fleisch der lebenden Tiere. Um das zu verhindern, praktizieren die australischen Farmer eine grauenhafte Methode an den Schafen: Die Lämmer werden am Rücken liegend fixiert, ihre Hinterbeine werden mit Metallstange nach vorne gebogen und ebenso fixiert. Nun werden ihnen ohne Narkose der Schwanz und riesige Fleischstreifen an den Beinen und rund um den Schwanz herausgeschnitten – auf einer glatten, vernarbten Fläche legen die Fliegen keine Eier ab. Man nennt diese Methode „Mulesing“.
Obwohl viele Tiere danach etwa an Entzündungen sterben, „rechnet es sich“ laut australischem Schafzüchterverband trotzdem. Die männlichen Lämmer werden darüber hinaus auch noch ohne Narkose kastriert. Es sollte zu denken geben, dass es für die australische Woll-Industrie keinen größeren Verlust bedeutet, wenn jedes Jahr bis zu 6 Millionen Tiere sterben: an den Folgen von Mulesing, schlechten Haltungsbedingungen, Schnittverletzungen oder zu früher Schur.
Merinowolle – auch in Europa stammt der Großteil von australischen Schafen
Auch wenn der Wollstoff für den Business-Anzug in Italien gewebt wurde, auch wenn der Strickgarn in Europa hergestellt wurde – wer genauer nachfragt, wird sehr oft herausfinden, dass die Wolle von australischen Schafen stammt. Sie gilt in der Branche als feinste und am besten zu verarbeitende Merinowolle. Deshalb wollen viele Hersteller nicht auf australische Wolle verzichten und wie so oft werden andere Interessen über Tierschutz gestellt.
Der Verband der australischen Wollfarmer hatte vor einigen Jahren versprochen, ab 2011 auf Mulesing zu verzichten und tierfreundlichere Methoden zur Fliegenabwehr einzusetzen. Dieses Versprechen wurde dann zurückgezogen, das Mulesing geht also weiter. Auch die in Betracht gezogene Methode des Clip-Mulesings ist abzulehnen. Hier wird die Haut mittels Klammern abgeklemmt bis sie abstirbt. Die Methode ist zwar nicht blutig, aber genauso schmerzhaft.
Obwohl inzwischen einige größere Bekleidungsketten keine Wolle mehr von „gemulesten“ Schafen verwenden, schaltet die australische Wollindustrie auf stur. Laut australischen Behörden werden derzeit 70% der Merinoschafe dem grausamen Mulesing unterzogen. Wer in Europa einen Pullover aus Merinowolle kauft, hat eine 50%-ige Chance, dass die Wolle von gemulesten Schafen aus Australien stammt.
Erfreuliches gibt es immerhin aus Neuseeland zu berichten: Mit 1. Oktober 2018 trat ein Mulesing-Verbot in Kraft. Auch unter Narkose darf hier per Gesetz kein Schaf mehr durch Mulesing verstümmelt werden.
Kastration, Schwanz-Amputation und Pestizid-Bad
Mit dem Mulesing ist die Tortur der Schafe noch nicht vorbei. Bis zur zehnten Lebenswoche können den Lämmern die Schwänze amputiert werden. Und bis zur zehnten Lebenswoche können die männlichen Lämmer kastriert werden. Alle Eingriffe ohne Narkose! Das gilt übrigens auch für die Schafe aus kontrolliert biologischer Tierhaltung, wie etwa in den Richtlinien von Australian Certified Organic nachzulesen ist.
Mindestens zweimal im Jahr werden sie vorbeugend in ein Pestizidbad getaucht, um den Befall mit weiteren Parasiten zu verhindern. Die Pestizide belasten nicht nur die Schafe, sondern auch die Gewässer, die Umwelt und schließlich den Menschen – die Arbeitskräfte und die Träger von Wollkleidung. Pestizidbäder sind nicht nur in Australien, sondern auch in China, Neuseeland, Südamerika, Großbritannien, Türkei und den USA üblich, also in allen großen Wolle „produzierenden“ Ländern. Einen starken Parasitenbefall gibt es übrigens nur in der Massentierhaltung.
Verschifft und geschächtet
Wenn die Schafe nicht mehr genügend Wolle geben, wartet der Schlachthof auf sie. Für die meisten australischen Schafe liegt der Schlachthof aber nicht nebenan, sondern auf einem anderen Kontinent. Das bedeutet einen wochenlangen qualvollen Transport auf riesigen Offendeck-Schiffen. Von Australien aus werden jedes Jahr Millionen „ausgediente“ Schafe in den Nahen Osten und nach Nordafrika verfrachtet. Die Bedingungen auf den Schiffen sind so schrecklich, dass im Durchschnitt 10% der Tiere während der Überfahrt sterben. Und auf die Überlebenden erwartet an ihrem Bestimmungsort das Schicksal der Schächtung, also das Schlachten ohne Betäubung. Was sich etwa in ägyptischen Schlachthäusern abspielt, hat die Tierschutzorganisation PETA gefilmt. Ersparen wir uns hier die Details.
Übrigens gibt es nicht nur Massentiertransporte von Australien aus. Auch aus Großbritannien werden jährlich 800.000 Schafe zum Schlachten ins Ausland gebracht.
Ein lohnendes Geschäft
Ähnlich wie bei Rindfleisch und Leder bedingen einander auch Wolle und Schaffleisch. Die billige und massenhafte Produktion rechnet sich vor allem, weil die Tiere zuerst wegen ihrer Wolle ausgebeutet werden und später ihr Fleisch noch Geld abwirft. Und schließlich verdienen die Schafzüchter auch noch am Verkauf des Wollwachses (Lanolin), das vor allem in der Kosmetikindustrie eingesetzt wird. Ein grausames Geschäft, aber ein lohnendes Geschäft – weil die KonsumentInnen es kaufen: Wolle, Fleisch, Lammfell und Lanolinprodukte.
Die Haut von Kinderschafen für den Kinderwagen?
Lammfell ist vor allem sehr beliebt, um Babys im Kinderwagen zu wärmen. Lämmer sind Babyschafe, sie werden noch von ihrer Mutter gesäugt. Doch bereits nach wenigen Wochen landen jedes Jahr viele Millionen Lämmer im Schlachthaus. Ihre Haut und Haare werden zu Stiefelfutter, Uggs, Fellkrägen oder sogar Fellmänteln und Babydecken verarbeitet.
Genauso wie Pelze müssen auch Lammfelle gegerbt werden. Bei dieser Behandlung wird das Material mit hochgiftigen Chemikalien behandelt, damit es haltbar wird und nicht verrottet. Rückstände dieser giftigen Substanzen finden sich oft in den verkauften Lammfellen wieder, was eine gesundheitliche Beeinträchtigung für den Nutzer bedeuten kann. Außerdem befinden sich die Gerbereien meist in in Entwicklungsländern, wo die Arbeitsbedingungen katastrophal sind. Details dazu in unserem Artikel „Leder – weder natürlich noch fair“.
Links:
- Eine Dokumentation des Schweizer Rundfunks über Mulesing
- PETA Australien über das Mulesing
- Deutschsprachige Informationen von PETA zum Mulesing
Weitere Infos:
- Wärmen können auch Textilien, für die keine Tiere gequält wurden. Alles Infos dazu findest du in unseren Artikeln „Cruelty-free Eco Fashion“ sowie „Warenkunde nachhaltiger Textilien“.
- Auch für Babys, Kleinkinder und die Auskleidung des Kinderwagens gibt es umwelt- und tierfreundliche Materialien, die wir in unserem Blogartikel „Bio-Kinderwägen und Fußsäcke – jetzt auch vegan“ zusammengefasst haben.
Dieser Artikel ist zugeordnet zu Mode Babys & Kids Heimtextilien & Möbel