Kann KI die Klimakrise lösen?
Warum globale Krisen philosophische Perspektiven brauchen
KI – Aufbruch in neue Zeiten
Ein kurzer Befehl und wie von Zauberhand entstehen Texte, Bilder und Musikstücke in Sekundenbruchteilen. Kaum jemand zweifelt daran, dass künstliche Intelligenz (KI) unsere Welt in den nächsten Jahren tiefgreifend verändern wird. Die Einsatzmöglichkeiten scheinen ebenso unbegrenzt wie das Potenzial dieser Krone der Digitalisierung. Zugleich ist in vielerlei Hinsicht unklar, was unter KI eigentlich zu verstehen ist. Ist es nun ein Chatbot, der täuschend echte Unterhaltungen führen kann? Ist es ein Programm, das aus großen Datenmengen selbständig lernen kann oder sind es vielmehr Maschinen, die autonom mit ihrer Umwelt interagieren? Müsste man nicht zuerst menschliche Intelligenz restlos verstehen, um sie dann künstlich nachbauen zu können? Während wir solche Grundsatzdiskurse führen, ist KI längst im Alltag angekommen und schafft Fakten. KI schreibt Romane, unterstützt medizinisches Personal bei Diagnosen, gibt Reisetipps oder lehrt Fremdsprachen. Von Schulen und Universitäten über Banken und Versicherungen bis hin zu Spitälern und Ateliers, gibt es kaum eine Branche, die sich nicht auf gravierende Veränderungen einstellen wird müssen.
KI zwischen Heilsversprechen und Assistenz
Der Glaube an den technischen Fortschritt ist ein Grundmotiv der modernen Gesellschaft. KI stellt zweifellos eine maßgebliche Entwicklung der bisherigen Menschheitsgeschichte dar und birgt zugleich das Versprechen, viele aktuelle Krisen abschwächen oder gar lösen zu können. Es gibt kaum eine Branche, die ihre Hoffnungen nicht in den fortschreitenden KI-Einsatz setzt. Manche sehen in KI sogar die Hoffnung auf eine langfristig nachhaltigere Gesellschaft verwirklicht.
Während KI einerseits mit jedem Entwicklungsschritt mehr Energie verbraucht, kann sie anderseits helfen, bestehende Prozesse, etwa in Industrie oder Landwirtschaft, effizienter und damit ressourcenschonender zu gestalten. Ebenso könnten Klimamodelle von der Rechenleistung der KI profitieren.
Doch KI kann weitaus mehr als Prozessoptimierung. Waren Texte und Bilder bisher noch von Schreibstil und Begabung Einzelner abhängig, winkt nun das Versprechen der voraussetzungsfreien Planbarkeit in nahezu allen Lebensbereichen. Das dystopische Szenario zahlreicher Science-Fiction Filme wirkt mittlerweile erschreckend lebensnah. Wer braucht in Zukunft noch Kunstschaffende, Lehrer*innen oder Ärzt*innen, wenn KI diese Aufgaben ohnehin schneller und effizienter übernehmen kann? Tatsächlich soll KI in vielen Bereichen Menschen aktuell nur unterstützen und nicht ersetzen. Es fragt sich aber, ob der Weg vom KI-unterstützen Text bis zum KI-generierten Roman, von der KI-unterstützten Diagnose hin zur virtuellen Ärzt*in nicht ein erschreckend kurzer sein wird. Ebenso fragt es sich, ob der hoffnungsvolle Blick auf die Potenziale von KI angesichts globaler Krisen überhaupt gerechtfertigt ist.
Philosophie als notwendige Impulsgeberin
Der Einsatz von KI ist bekanntlich mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. Fragen nach Datensicherheit, Urheberschaft oder vorurteilsbehafteten Algorithmen können durch rechtliche und technische Regulatorien adressiert werden. Jene nach Veränderungen am Arbeitsmarkt und sozialer Verträglichkeit müssen politisch gelöst werden. Tatsächlich weist auch die aktuelle KI-Verordnung der EU in diese Richtung.
Die Frage, welche Tätigkeiten so spezifisch menschlich sind, dass sie nicht von Maschinen übernommen werden sollten, stellt hingegen nur selten jemand. Diese Fragestellung kann weder technisch noch politisch beantwortet werden, sondern verlangt eine philosophische Antwort. Tatsächlich wird KI oft als Lösung gesehen, wobei eigentlich eine Frage aufgeworfen wird: Nämlich, was ist der Mensch? Diese philosophische Grundfrage ist durch den fortschreitenden KI-Einsatz so aktuell wie vielleicht nie zuvor.
Die Frage, wo KI überall eingesetzt werden kann, ersetzt oftmals die Debatte darüber, wo KI eingesetzt werden sollte. Welche Lebensbereiche wollen wir an KI auslagern und welche nicht? Ist ein KI-generierter Roman oder ein KI-generiertes Bild tatsächlich künstlerisch wertvoll? Was bedeutet es, wenn Customer Service, Werbung oder Bildung dem Bereich des zwischenmenschlichen Kontakts enthoben werden? Welches Bild haben wir als Menschen von unseren eigenen Fähigkeiten und Aufgaben? Zählt am Ende nur das Resultat oder liegt dem Vollzug des Schreibens, Sprechens, Malens oder Forschens selbst eine Aussage über unser Menschsein zugrunde?
KI kann in vielen Bereichen sinnvolle Unterstützung leisten, ohne kritische Reflexion der Anwendungsgebiete läuft die effizienzoptimierte Gesellschaft jedoch Gefahr, sich zu entmenschlichen. Kunst, Wissenschaft oder Wirtschaft sind keine bloßen Notwendigkeiten des Überlebens, sondern sinnstiftende Lebens- und Gesellschaftsentwürfe. Diesen gesellschaftlichen Diskurs zu moderieren und Impulse zu geben, darin liegt die eigentliche Stärke der Philosophie in der heutigen Zeit. Schon Friedrich Nietzsche verstand die Philosophie als etwas „unzeitgemäßes“. Unzeitgemäß ist sie, insofern sie sich nicht willfährig jedem aktuellen Trend, jeder Ideologie oder praktischen Anwendung anbiedert, sondern (im Idealfall) eine kritische Distanz dazu wahrt. Natürlich gibt es die Philosophie ebenso wenig wie die Wissenschaft oder die Politik als einheitlichen Begriff, dennoch lassen sich mit einer kritisch-philosophischen Haltung intellektuelle Scheuklappen ablegen und aktuelle Trends nach normativen Kriterien analysieren. Eine solche Analyse muss tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen, wie sie durch KI zu erwarten sind, begleiten und kommentieren.
Die Klimakrise als menschliche Herausforderung
Die Klimakrise ist dafür ein gutes Beispiel. Das Aufkommen neuer Technologien begleitet oft die naive Hoffnung, eine ideale Lösung der Klimakrise zu finden. Eine Lösung, die allen gleichermaßen offensteht und keine problematischen Interessensabwägungen mehr notwendig macht. In der Science-Fiction-Literatur werden derartige Technologien oft als Erklärung für die friedliche Einigung der Menschheit angeführt. Dank dieser futuristischen Technologien gibt es keine Ressourcenknappheit, keinen Krieg und keine wirtschaftliche Ungleichheit mehr, soweit die Utopie. Ein kritischer Blick auf technologische Heilsszenarien macht aber deutlich, dass sich keine Krise allein durch technologische Mittel lösen lässt.
Stellen wir uns eine Supertechnologie vor, die schlagartig den globalen CO2-Ausstoß halbieren könnte. Die dahinterstehenden sozialen und politischen Fragen etwa nach Entwicklungskosten, nach Zugang und Verbreitung dieser Technologie oder gesellschaftlichen Auswirkungen werden dadurch nicht gelöst, sondern vielmehr erst aufgeworfen. Ebenso wird der menschengemachte Klimawandel nicht durch Technologie, sondern von Menschen gelöst werden müssen. Unbestritten ist, dass neue Technologien als Bedingung der Möglichkeit für eine solche Lösung gelten, zugleich wäre es naiv, in Technologie allein einen Ausweg zu suchen. Die aktuellen Probleme der Menschheit, wie sie etwa in den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen formuliert sind, werden zwar mit, aber eben nicht durch Technologie lösbar sein. Hier schließt sich der Kreis zur öffentlichen Debatte über KI, die eine philosophische Reflexion abseits naiver Technikgläubigkeit oder dystopischer Technikverweigerung verlangt.
Menschliche Probleme verlangen menschliche Lösungen
Bei aller Bewunderung für die Leistungen von Ingenieur*innen und Programmierer*innen darf die rasante KI-Entwicklung nicht als Lösung für die Probleme der Menschheit missverstanden werden. Das gilt für die Klimakrise ebenso wie für jede andere globale Herausforderung. Effizienzsteigerung ist ebenso nicht per se erstrebenswert, so wie sich künstlerischer Ausdruck nicht in der Anzahl der produzierten Bilder oder in beschriebenen Buchseiten ausdrückt. Der Mensch ist stets letztverantwortlich für die Lösung menschengemachter Probleme. Dabei ist die philosophische Frage nach dem Menschlichen im Menschen essenziell.
KI kann zweifellos wichtige Unterstützung in verschiedenen Bereichen liefern, wirft dabei aber unzählige neue Fragen auf. Fragen nach den moralischen Prinzipien unseres Handelns und nach den sozialen und politischen Rahmenbedingungen dürfen und können nicht an vermeintlich effizientere künstliche Intelligenzen „outgesourct“ werden. Vielmehr bleiben soziale, ökonomische und ökologische Probleme unserer Zeit untrennbar in der Sphäre menschlichen Handelns verortet und können nur dort gelöst werden. Oder mit den Worten des KI-Sprachmodells ChatGPT: „KI kann dazu beitragen, viele große Probleme der Menschheit zu lösen, doch ihr Erfolg hängt von ethischem Einsatz, menschlicher Zusammenarbeit und sorgfältiger Regulierung ab.“ (ChatGPT, 2024).
Zum Gastautor
Wolfgang Damoser ist Ethiker und selbstständiger Philosophischer Praktiker. Nach seinem Bachelor- und Masterstudium der Philosophie und dem Bachelorstudium Public Management arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Wien und der FH Wien der WKW im Forschungsbereich angewandte Ethik. Seit 2022 ist er Leiter von „Vielosophie – Die Philosophische Praxis“ in Wien. Kontakt: office@vielosophie.at