(Neo)Kolonialismus und Klimawandel
Alle Player einbinden
Um alle Player wirklich einzubinden, ist jedoch nicht nur Einsicht in die Problematiken der Klimaveränderung wichtig, sondern auch eine veränderte Sichtweise auf die Handelnden. Die Momentaufnahme der Klimakrise führt vor Augen, dass der einseitige Blickwinkel westlich geprägter Ökonomien, die sich meist als Speerspitze eines globalen Fortschritts inszenieren, Teil des Problems ist. Die lineare Vorstellung, es gehe immer voran, passt nicht zu einer Erde, die zirkulär funktioniert. Man kann die Fortschrittsideologie mit einem eindimensionalen Vorwärtsstrahl vergleichen, der keinerlei Auswirkungen einbezieht und sich so in eine haltlose Zukunft schießt. Bildlich gesprochen, geht es nun darum, Verwobenheit und Wechselwirkungen von Handlungen in einem Kreislauf anzuerkennen.
Wirtschaftssystem ändern
Das derzeit herrschende Wirtschaftssystem beruht auf Extraktion. Es herrscht die Maxime, die eigenen Interessen mittels maximaler Ausbeutung von Ressourcen durchzusetzen. Die Auswirkungen der Extraktionsökonomie sind für den „Globalen Süden“ keine Angelegenheit der Zukunft. Erdöl- und Kohleindustriekonzerne und nicht zu vergessen die Agrarindustrie, arbeiten konsequent mit Lobbyismus. Die pakistanische Politikwissenschaftlerin Ayesha Siddiqa forderte zuletzt 2019, nach der COP25, den Einfluss der Öl-, Gas- und Kohleindustrie aus den internationalen Klimaverhandlungen zu entfernen. Förderungen für Erdöl- und Erdgasabbau sind ebenso unverantwortlich wie solche für die destruktive Agrarindustrie, die Wälder abholzt oder abbrennt, um mehr Futtermittel für die Tiermast anbauen zu können.
Perspektiven erweitern
Eine (neo)koloniale Denkweise zeigt sich häufig schon im Wording der Verhandlungen. So beispielsweise beim Ausdruck “Globaler Süden“, der in den 1980er Jahren seitens der Weltbank in entwicklungspolitische Debatten eingebracht und als Gegensatz zum industrialisierten – gleichbedeutend mit „entwickelten“, „fortschrittlichen“ – Norden entworfen wurde. Auch der immer noch oft verwendete Begriff „Entwicklungsländer“ unterstellt, diese Länder wären vergleichsweise zurückgeblieben.
Mangelnde Repräsentation
Dazu kommt eine inakzeptable Unterrepräsentation von ExpertInnen dieser Weltgegenden auf der COP 26. Für viele VertreterInnen des „Globalen Südens“ ergaben die komplizierten, sich immer wieder ändernden Covid-Bestimmungen massive Probleme. Unübersichtliche und lange Quarantäne- und Reisezeiten sprachen dagegen, an der Konferenz teilzunehmen. Für viele war die Teilnahme schlicht nicht leistbar. Dabei sind gerade diese Menschen am stärksten betroffen von Erderwärmung und Dürren, Flutwellen und Wasserverschmutzung. Zudem verfügen sie vielfach über traditionelles Wissen und Praktiken, die im Umgang mit den Auswirkungen des Klimawandels von Nutzen sein können. Ihr Knowhow verdient ebenso wie akademische Forschungsergebnisse Beachtung und Präsentation an prominenter Stelle. Hier ist ein Perspektivwechsel und ein anti-kolonialistischer Blick gefordert.
(Neo)Kolonialistische Praktiken
Die (neo)kolonialistische Ideologie vieler internationaler Konzerne zeigt sich etwa in der Vorgangsweise, Anbauflächen aus dem eigenen Staatsterritorium in andere Gebiete zu verlegen. Entweder in Länder des „Globalen Südens“ – oder in Landstriche, die ohnehin unterprivilegierten Bevölkerungsschichten zugeordnet sind. Diese Praxis ist vergleichbar mit dem Redlining in den USA – hier wurden Gebiete mittels eines institutionalisierten Rassismus abgegrenzt und diskriminiert. So werden zum Beispiel Dienstleistungen an Bewohner dieser Gebiete verteuert angeboten oder gar verwehrt. Gerade die ökonomisch und lobbyistisch weniger mächtigen Regionen sind doppelt benachteiligt: Sie nehmen am durch Extraktion erreichten Wohlstand kaum teil, zum anderen erleben sie früher als die (Neo)Kolonialmächte die Folgen.
Taking action
Ayesha Siddiqa verweist auf die Pflicht gewählter politischer Führungskräfte, alle zu vertreten. Wenn sie dies versäumen, sollen sie ihre Position verlieren. Zahlreiche internationale Organisationen wie COP 26 Coalition, Rainforest Alliance oder Polluters Out, zu denen Länderorganisationen von Fridays for Future, Extinction Rebellion oder Power Shift Nepal gehören, haben sich vernetzt. Sie lassen sich von einem alten und neuen kolonialistischen Weltbild nicht weiter bevormunden. Sie verlangen ihr Recht auf Selbstbestimmung und arbeiten schon längst konstruktiv an Lösungen. Bis vor Kurzem hat man indigene Bevölkerungen oder BewohnerInnen des sogenannten globalen Südens als Opfer der Auswirkungen des Klimawandels betrachtet und nicht als AkteurInnen des Umweltschutzes. Das ändert sich gerade.