Unternehmen und Moral – Was wir von Kant über Wirtschaft lernen können

Unternehmen übernehmen immer öfter soziale Verantwortung in der Form von Corporate Social Responsibility (CSR). Von Umwelt- oder Nachhaltigkeitsthemen bis hin zu Sozialprojekten. Warum wir diesen (löblichen) Initiativen dennoch kritisch begegnen sollten, was der Unterschied zwischen Ethik und Moral ist und was Kant über Wirtschaft zu sagen hat, darüber berichtet unser Gastautor Wolfgang Damoser.

„Ein Unternehmen, das aus Eigeninteresse soziale Verantwortung übernimmt, wird sein Verhalten (so löblich es im Moment auch sein mag) in der Sekunde ändern, in der ein anderes Verhalten noch profitabler ist.“ – Wolfgang Damoser (Foto: Canva)
Moral und Ethik – Ein wichtiger Unterschied
Jeden Tag werden wir zum richtigen Handeln aufgefordert. Längst haben Verantwortung oder Nachhaltigkeit antiquierte Begriffe wie Tugend, Pflicht oder Frömmigkeit abgelöst. Geblieben ist der immer gleiche Imperativ, den gerade geltenden gesellschaftlichen Normen zu entsprechen. Diese moralischen Vorstellungen vom richtigen Handeln ändern sich je nach Epoche und Kulturkreis. Im Gegensatz zum alltäglichen Sprachgebrauch unterscheidet die Philosophie grundsätzlich zwischen Ethik und Moral. Die Ethik ist diejenige wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Theorie der Moral beschäftigt, während Moral die Gesamtheit der gesellschaftlich gelebten Normen bezeichnet. Im Laufe der Jahrtausende haben unterschiedliche Philosoph*innen ethische Theorien zur Begründung von Moral entwickelt.
Tatsächlich wird ethische Theoriebildung immer dann besonders relevant, wenn wir das gut bestellte Feld der Tradition verlassen und mit neuen Fragen konfrontiert werden. Aktuell werden wir durch technologische oder soziale Veränderungen vor Herausforderungen gestellt, auf die es keine (intuitive) moralische Antwort gibt. Dürfen wir menschenähnliche Roboter als Pflegekräfte oder Sexworker benutzen? Sollen selbstfahrende Autos entscheiden, wer bei einem Unfall eher zu Schaden kommt? Auf diese Fragen gibt es keine Antworten in der traditionellen Moral. Vielmehr müssen diese Fälle im Lichte ethischer Theorien diskutiert und bewertet werden. Dabei geht es universelle Prinzipien, Pflichten oder Tugenden, die durch Argumente begründet werden müssen. Je nach Theorie wird die Antwort unterschiedlich ausfallen und im Zweifelsfall die öffentliche Debatte und Gesetzgebung beeinflussen.
CSR – Unternehmen und moralische Verantwortung
Auch Unternehmen verhalten sich zunehmend moralisch. Schlagwörter wie Private Governance, Corporate Citizenship oder Corporate Social Responsibility (CSR) sind aus der Wirtschaft längst nicht mehr wegzudenken. Sie beschreiben das Bestreben von Unternehmen, sich ihrer gesellschaftlichen und ökologischen Verantwortung bewusst zu sein und danach zu handeln. Die einzelnen Dimensionen reichen von der Verantwortung gegenüber Mitarbeiter*innen und Aktionär*innen über Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen bis hin zum Sammeln von Spenden oder gesellschaftspolitischen Engagement. Gemein ist diesen Ansätzen zumeist, dass Unternehmen auf eine Art handeln, die zwar gesellschaftlich (das heißt moralisch) erwünscht, aber nicht verpflichtend ist. Ob und welche Initiativen Unternehmen dabei umsetzen, bleibt ihnen selbst überlassen. Zumeist erwarten sich Unternehmen davon zumindest indirekt Vorteile und steigende Gewinne (zum Beispiel gute Reputation, Vorteile gegenüber dem Mitbewerb, Lobbying gegen restriktive Regulierung et cetera). Was könnte denn falsch daran sein, wenn Unternehmen Spenden sammeln, auf die Umwelt achten oder Sozialprojekte fördern? Hier lohnt ein Blick in die Philosophiegeschichte.
Kant für Unternehmen und Konsument*innen
Schon im 18. Jahrhundert argumentierte Immanuel Kant, dass ein Kaufmann, der aus Eigeninteresse seine Kund*innen nicht betrügt, deswegen nicht schon ethisch handelt. „Man wird also ehrlich bedient; allein das ist lange nicht genug, um deswegen zu glauben, der Kaufmann habe aus Pflicht und Grundsätzen der Ehrlichkeit so verfahren; sein Vorteil erforderte es (…)“[1] – so Kant. Dies widerspricht dem gängigen Narrativ einer automatischen Win-Win-Situation der Wirtschaftsethik. Unternehmen übernehmen gesellschaftliche Verantwortung und werden im Gegenzug langfristig durch höhere Gewinne belohnt. Energieeffizienz hilft der Umwelt und reduziert Kosten, soziales Engagement ist Gold wert für Marketing und PR. Eine perfekte Lösung für alle – möchte man meinen. Das Problem: Diesen Handlungen fehlt es an Verbindlichkeit und universellen Prinzipien. Ein Unternehmen, das aus Eigeninteresse soziale Verantwortung übernimmt, wird sein Verhalten (so löblich es im Moment auch sein mag) in der Sekunde ändern, in der ein anderes Verhalten noch profitabler ist.
Wer als Unternehmen in Russland oder China gute Geschäfte machen will, passt sich zumeist der dort vorherrschenden gesellschaftlichen Sichtweise an. Unternehmen, die in Westeuropa und den USA mit LGBTQI-Themen werben, tun das in anderen Regionen oft nicht. Dahinter steht eine Haltung, die sich aus Eigeninteresse den moralischen (das heißt aktuell geltenden) Ansichten einer Gesellschaft anpasst. Mit einer ethischen Haltung auf Basis universeller Prinzipien hat das wenig zu tun. Ethisches Verhalten braucht Verbindlichkeit und muss auch gegenüber widrigen Umständen durchsetzungsfähig bleiben. Es ist fraglich, welche CSR-Initiativen diesem Anspruch genügen und sich über das moralische hin zum ethischen Handeln erheben. Einzelne Unternehmen bilden dabei eine löbliche Ausnahme, sofern sie CSR wirklich als Teil ihres Kerngeschäfts und nicht als bloßen Zusatz begreifen. Auch unsere Verantwortung als Konsument*innen ist von dieser Kritik übrigens nicht ausgenommen. Wer nur aufgrund guter Werbung und dem eigenen Lifestyle zum Bio- oder Fairtrade-Label greift, handelt genauso wenig nach universalen ethischen Grundsätzen. Sobald die nächste Werbung für stylische Fast Fashion oder Billigflüge ansprechender ist, sind Argumente für Umweltschutz und faire Arbeitsbedingungen für Viele schnell vergessen.
[1] Kant, Immanuel (2012 [1785]): Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: ders., Werkausgabe Bd. VII, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Suhrkamp, Frankfurt am Main (2012), S. 23.
Zum Gastautor
Wolfgang Damoser ist Ethiker und selbstständiger Philosophischer Praktiker. Nach seinem Bachelor- und Masterstudium der Philosophie und dem Bachelorstudium Public Management arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Wien und der FH Wien der WKW im Forschungsbereich angewandte Ethik (insbesondere Tier- und Wirtschaftsethik). Seit 2022 ist er Leiter von „Vielosophie – Die Philosophische Praxis“ in Wien. Kontakt: office@vielosophie.at