Das Leben ist kein Ponyhof – Teil 1: Reiten lernen – obwohl man Pferde liebt?

Achtung, dieser Post ist bereits aus dem Jahr 2016. Einige Informationen könnten veraltet sein.
Viele Eltern werden angesichts eines Ponys oder Pferdes regelmäßig mit dem Wunsch ihrer Kinder „Ich will reiten lernen“ konfrontiert. Wer Pferde liebt, wird daher zwischen (s)einem Herzenswunsch und den häufig schlechten Lebensumständen der Tiere hin- und hergerissen sein. Unsere Gastautorin Michaela Heintz, Pferdeexpertin der VIER PFOTEN beschreibt, auf was TierfreundInnen unbedingt achten sollten.
 © Barbara Ebohon

Glücklicher Marco – jeden Tag mit anderen Pferden auf der Koppel © Barbara Ebohon

Soll man als Tierfreund  überhaupt reiten lernen? Wo und wie kann man so reiten lernen, dass es für Tier und Mensch eine positive Erfahrung wird? Auf diese Fragen gibt es keine allgemein gültige Antwort, ich will daher hier die wichtigsten Punkte ansprechen.

Tierleid im Reitstall

Langweiliges Warten in der Box

Langweiliges Warten in der Box © Michaela Heintz

Jeder Reitanfänger fällt dem Pferd (unabsichtlich) mit seinem gesamten Gewicht in den Rücken und hält sich an den Zügeln fest. Viel gutes Training und Begabung verbessern dies, doch für ein Pferd ist das nicht nur unangenehm, sondern auf Dauer gesundheitsschädlich. So gesehen kann Reiten lernen nie wirklich pferdefreundlich sein. Kleinere Kinder belasten das Pferd zumindest durch ihr Gewicht kaum. Zudem finden sie sich sehr schnell mit völlig neuen Bewegungen zurecht. Sie lernen oft in wenigen Stunden, wofür Erwachsene mitunter Jahre brauchen.

Natürlich soll jedes Pferd in artgemäßer Haltung leben, mehr dazu in unserem Artikel in einer Woche, am 16. März. Gerade für Schulpferde ist das Leben aber meist kein Ponyhof: Jederzeit verfügbar in Einzelboxen abgestellt, oft ohne Koppelgang, tragen sie täglich verschiedenste, viel zu schwere Reitschüler, die Stunde um Stunde am Zügel zerren und die Gerte geben, wenn das Pferd nicht motiviert ist. Schließlich verursachen eine schlecht passende oder gewartete Ausrüstung (unpassende Sättel sind kein Kavaliersdelikt!), mangelnde Sorge um Hufe und Gesundheit, Einsamkeit und schlechte Stallluft (verantwortlich für Husten, Lungenkrankheiten) allzu häufig ernste gesundheitliche Schäden. Pferden, die so gehalten werden, sollte man zusätzliches Leid ersparen und diese Art von Reitställen meiden –  wobei ohnehin nicht zu erwarten ist, dass man dort mehr lernt, als auf einem frustrierten, verspannten Tier zu sitzen und es in eine bestimmte Richtung zu ziehen.

Artgerecht? Maximal ein oder zwei Reitstunden am Tag!

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Azali: glücklich und selbstbestimmt auf der Koppel © Michaela Heintz

Das wichtigste ist also, einen guten und verantwortungsvollen Reitstall zu finden, wo die Schulpferde gut versorgt werden: Den Tieren sollten am maximal ein oder zwei Reitstunden zugemutet werden. Die restliche Zeit sollten viel freie Bewegung auf den Koppeln haben, um ein Leben als Pferd zu führen. Besonders wichtig für das Herdentier Pferd sind auch die sozialen Kontakte zu Artgenossen.
Schritt zwei ist es, eine/n kompetenten und einfühlsamen ReitlehrerIn zu finden. Angehende ReiterInnen sollten bedenken, dass das alles sicher auch seinen Preis hat.

Alternativ kann man sich als „Mitreiter“ bei einem Privatpferd* bewerben, dieses betreuen und (je nach Vereinbarung) auch mit ihm gemeinsam das Reiten erlernen. Dies ist für viele Tierfreunde sicher ein toller Einstieg, da man das Pferd als feinfühliges Lebewesen kennen und schätzen lernt und man eine Beziehung und Vertrauen zu dem Tier aufbauen kann. Nur ist es nicht leicht, ein braves, „anfängertaugliches“ Pferd zu finden, dessen HalterIn bereit ist, es einem blutigen Anfänger zur Verfügung zu stellen. Denn auch dieses Pferd leidet unter den ersten Reitversuchen. Dazu kommt noch, dass der Besitzer meist eine ganz besondere Bindung zu seinem Tier hat und daher in dessen Ausbildung viel Zeit, Engagement und Geld investiert. Je feiner aber das Pferd, desto größer ist natürlich die Irritation, die jeder weitere Reiter, besonders aber ein Anfänger bei ihm verursacht. So muss man sich immer fragen, ob ein Pferd nicht nur vermietet wird, um die hohen monatlichen Kosten zu decken.

* Nur nebenbei soll erwähnt sein, dass die Nutzung eines privaten Pferdes durch Minderjährige gegen Geld im Falle eines Unfalles sogar ein schwerwiegendes Haftungsproblem und finanziellen Ruin bedeuten könnte, da das Risiko in Österreich nicht durch eine Versicherung abgedeckt werden kann. Diese rechtlichen Probleme sind bei einer offiziellen Reitschule nicht gegeben.

Für fortgeschrittene Anfänger oder Wiedereinsteiger jedoch ist eine Reitbeteiligung sicher eine ganz tolle Möglichkeit, die Beziehung zu einem Lebewesen und das Reiten zu verfeinern. Auch hier ist es vorteilhaft, einen Trainer oder Lehrer immer wieder mal darauf schauen zu lassen, dass sich keine Nachlässigkeiten beim Reiten einschleichen, die dem Pferd auf Dauer schaden könnten.

Pferde sind Herdentiere und brauchen ihre "Kumpels"

Pferde sind Herdentiere und brauchen ihre „Kumpels“ @ Michaela Heintz

Achtsame Körperpflege schafft Nähe und Vertrauen

Andreas- Kinder lieben Pferde

Kinder lieben Pferde © Doris Bankhamer

Reiten lernen beginnt beim Putzen! Die ersten Erfahrungen im Umgang mit dem Fluchttier Pferd sollte man jedenfalls im Beisein eines Lehrers oder Besitzers (Halters) machen, der das betreffende Pferd und seine individuellen Eigenheiten (Übermut, Scheuen, Schnappen) gut kennt und der die Verhaltensweisen eines Herden- und Fluchttieres nicht nur einschätzen kann, sondern auch gut erklärt. Meist wird dem Anfänger beim Putzen und Hufe auskratzen das Pferd näher gebracht:  Man sieht, ob die Ausrüstung sauber und intakt ist und bespricht, wie das Pferd „heute drauf ist“. Und man kontrolliert, ob es gesund ist: Es darf besonders in Gurt- und Sattellage weder abgewetzte Stellen noch Krusten haben, die Beine dürfen weder angeschwollen noch warm sein – so ein Pferd wäre ein Fall für den Tierarzt und darf nicht geritten werden.

Und dann wird aufgesessen: Da sich der Reitanfänger auf seinen Sitz konzentrieren muss, bis er sich an die Bewegungen des Pferdes gewöhnt hat, longiert man ihn die ersten Stunden. Das heißt, ein zuverlässiges Pferd geht an einem langen Seil im Kreis, ohne dass der Reiter Zügel hat. Denn jeder (ungewollt) unsanfte Zügelkontakt mit dem feinen Pferdemaul fügt dem Pferd unnötig Schmerzen zu. Nur, wenn der Schüler – oft erst nach vielen Monaten –  in allen Gangarten sitzen kann, ohne sich festhalten zu müssen und ohne dem Pferd in den Rücken zu fallen, gibt ihm der Trainer die Zügel einer gebisslosen Zäumung (ohne Mundstück) in die Hand.

Mit sanfter Hand – Reiten ohne Schmerzen zuzufügen

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Ungewöhnliche Situationen meistern © Michaela Heintz

Und hier beginnt der schwierigste Teil des Reitens, nämlich das Pferd lenken zu lernen, ohne an ihm herumzuzerren oder ihm Schmerzen zuzufügen. Ziel ist es, eins mit einem Tier zu werden, sodass es schon auf Gewichtsverlagerung und feinste Signale motiviert reagiert. Und vor allem auf der Koppel freudig seinem Reiter entgegenläuft, wenn er es zur „Arbeit“ abholt. Wenn man das einmal gefühlt hat, weiß man, dass sich jahrelanger Unterricht und Arbeit mit dem Pferd bezahlt gemacht haben.

Verschiedenste Trensen und gebisslose Zäumungen sind am Markt, aber nicht alles, was als „pferdefreundlich“ angepriesen wird, ist für das Tier angenehm. Im Gegenteil: Auch das dünnste Seilhalfter kann dem Pferd bei unsachgemäßer Verwendung den Nasenknorpel brechen. Eine feine Reiterhand mit einer passenden Trense wird das Pferd normalerweise gerne annehmen. Hier gilt: Alles, was verhindert, dass das Pferd das Maul zum Kauen öffnet (zu enge Riemen, Mouthcloser) sowie sämtliche Hilfszügel, die ein Pferd in eine bestimmte Haltung zwingen, schaden dem Pferd und sind daher ganz klar abzulehnen!

Michaela Heintz, Pferdeexpertin beim VIER PFOTEN Competence Centre Horses, hat sich – ursprünglich um das eigene Pferd besser zu verstehen – mit dem Verhalten und dem Ausdruck von Pferden eingehend beschäftigt: Durch Beobachtung von Pferden in verschiedenen Herden, Arbeit nach Tellington-Jones, Natural Horsemanship Trainings, Pferdekommunikations-Seminare, Cranio Sacrale Energiearbeit und Arbeit mit schwierigen Pferden ist sie diesen einfühlsamen Wesen nahe gekommen. In ihrem Job und auch privat setzt sie sich besonders für ein besseres Verständnis zwischen Mensch und Pferd sowie für bessere Lebensbedingungen für Pferde ein.
© Denise Hebesberger

© Denise Hebesberger

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Ein Artikel von der Ethik.Guide-Redaktion
veröffentlicht am 9.03.2016

Ein Kommentar

  • Angela sagt:

    Super Beitrag, danke! Mir liegt das auch sehr am Herzen. Ich habe mich mit der Methode des indianischen Reitens (ohne Sattel, Vertrauen aufbauem) beschäftigt. In Österreich ist das kaum vertreten, glaube ich?

    Noch etwas anderes, was mir sehr am Herzen liegt:

    Weil sicher viele PferdefreundInnen vorbeischauen, könnt ihr das teilen, bitte:

    —————————-
    Vor Monaten hat die Animal Welfare Foundation aufgedeckt, dass seit 30 Jahren Pferde in Südamerika für die Produktion des Hormons PMSG systematisch gequält werden. Der Pharmakonzern Merck Sharp & Dohme macht mit diesem Qualhormon Geschäfte — und schweigt noch immer zu den Vorwürfen.

    Besonders dreist: Auf Facebook wirbt der Pharmakonzern mit Bildern von glücklichen Tieren für seine Sparte Tiergesundheit — auch mit Pferden!

    Lassen wir nicht zu, dass Merck & Sharp Dohme mit Tiergesundheit werben kann, während der Pharmakonzern gleichzeitig Profite mit dem Qualhormon PMSG macht! So können Sie helfen:

    Schritt 1: Gehen Sie auf die Facebookseite von MSD Tiergesundheit:

    https://www.facebook.com/MSD.Tiergesundheit

    Schritt 2: Kopieren Sie diesen Text und posten Sie ihn dort — oder verfassen Sie einen Kommentar in Ihren eigenen Worten:

    Für das Hormon PMSG werden trächtige Stuten in Südamerika zu Tode gequält. Wenn Ihnen Tiergesundheit tatsächlich ein Anliegen ist, müssen Sie Ihre Zusammenarbeit mit den Blutfarmen beenden! http://action.sumofus.org/de/a/pferde-merck-de/

    Eines muss man Merck Sharp & Dohme lassen: Die Facebook-Seite ihrer Sparte Tiergesundheit macht was her — mehr als 13000 Menschen gefällt sie. Nutzen wir die Aufmerksamkeit der Netzgemeinde: Wenn hunderte SumOfUs-Mitglieder ihren Protest auf der Facebook-Seite von MSD Tiergesundheit kundtun, kann sich Merck Sharp & Dohme sein Schweigen schon bald nicht mehr leisten!

    Eoin und das Team von SumOfUs

    Mehr Informationen:
    Bei Interesse bitte Links kopieren und einfügen

    Wie Pharmakonzerne mit Pferdeblut Geschäfte machen
    Süddeutsche Zeitung, 29. September 2015

    Neue Pferdequälerei: Stuten leiden für unser Schweinefleisch
    Schweizer Radio und Fernsehen, 29. September 2015

    Das Blutgeschäft
    Tierschutzbund Zürich Animal Welfare Foundation
    ————————-

    Es betrifft nicht nur Pferde, sondern auch „Nutztiere“ und am Ende auch Menschen. (Menschen haben eine höhere Lebenserwartung als Tiere und bekommen von den, den Schweinen verabreichten Wachstumshormonen Krebs.)Es könnte also auch in den Reihen der „nicht unbedingt TierfreundInnen“ Interesse an einer Änderung bestehen…

    Petition unter:
    http://action.sumofus.org/de/a/pferde-merck-de/

    Bitte unterzeichnen und teilen. Danke!!!

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