Eine neue Ära der Ernährung: Die Proteinwende

Unter Proteinwende versteht man im Allgemeinen die strategische Veränderung in der Ernährungsweise und der Produktion von Lebensmitteln. Proteine aus tierbasierten Lebensmitteln wie Fleisch und Milch sollen durch pflanzliche Proteine ersetzt werden. In diesem Artikel beleuchten wir, wie der Umstieg gelingen kann.

Beziehungen zu Tieren sind, wie alle Freundschaften, immer individuell. Viele Menschen halten sie für wichtig und wollen Tiere daher weder töten, um sie zu essen, noch sie wegen ihrer Milch oder ihren Eiern ausbeuten. (Foto: Pexels, Tarkan Kizartici)

Umdenken ist notwendig

Unser derzeitiges Ernährungssystem zieht massive Umweltwirkungen nach sich. Die Anbauflächen für Tierfutter verbrauchen riesige Landstriche: “Dass wertvolle Lebensräume in Ackerland umgewandelt werden, liegt einerseits an unserem hohen Fleischkonsum in Österreich, der im wahrsten Sinne des Wortes schwere Kost für Mutter Erde ist. Andererseits haben viele Rohstoffe unserer Nahrung – wie etwa Soja und Palmöl – ihren Ursprung in den Biodiversitätshotspots unserer Erde, wie etwa dem Amazonas-Regenwald”, heißt es im Bericht des WWF zu Ernährung und Klimaschutz.

Wenn man sich vor Augen hält, dass die derzeit übliche Ernährung mit hohem Anteil von tierbasierten Produkten weltweit für 70 % des Verlustes an biologischer Vielfalt und 80 Prozent der Entwaldung verantwortlich ist, wird klar, dass Veränderung geboten ist. Die massiven Umweltwirkungen zeigen sich auch im Klimawandel und den immer häufiger auftretenden Extremwetter-Ereignissen wie Dürren und Starkregen. Wir sind gezwungen, etwas zu verändern. Und weil Proteine unverzichtbare, lebensnotwendige Bestandteile der Ernährung sind, ist hier ein wichtiger Ansatzpunkt gegeben. Im allgemeinen – wenn man sich nicht vegan ernährt – werden Proteine dem Körper hauptsächlich durch den Konsum von tierbasierten Produkten zugeführt.

Die Sojabohne ist seit Jahrtausenden in vielen Kochtraditionen als Eiweißlieferantin geschätzt (Foto: Unsplash, Daniela Paola Alchapar)

Gesundheitliche Vorteile

Der fleischlastige Konsum hat negative Auswirkungen auf die Gesundheit. Rotes Fleisch und verarbeitetes Fleisch enthalten oft hohe Mengen an gesättigten Fetten und Cholesterin, was zu einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen kann. Gesättigte Fette erhöhen das „schlechte“ LDL-Cholesterin, das die Arterien verstopfen kann und zu Herzerkrankungen beiträgt. Der Konsum von verarbeitetem Fleisch (wie Wurstwaren, Schinken, Speck) wird von der WHO als krebserregend eingestuft. Studien zeigen, dass Menschen, die regelmäßig rotes und verarbeitetes Fleisch essen, ein höheres Risiko haben, an Typ-2-Diabetes zu erkranken.

Hier stellt sich die Frage, wie viel davon man konsumieren darf oder soll. Eine allgemein akzeptierte Antwort liefert darauf die Planetary Health Diet. Sie wurde von renommierten Wissenschaftler*innen aus den Bereichen Ernährungswissenschaft, Medizin, Geographie, Umweltentwicklung, Psychologie und Lebensmittelpolitik erarbeitet. Ziel ist dabei, bis 2050 eine gesunde Ernährung für alle Menschen zu gewährleisten und gleichzeitig die planetaren Grenzen zu respektieren.

Wenn man auf diese Planetary Health Diet zurückgreift, sollte man maximal 11 Kilo Fleisch pro Jahr essen. Der empfohlene Rahmen reicht von 0 bis 11 Kilo. Das bedeutet, man muss den Fleischkonsum in typischen mitteleuropäischen Ländern auf ein Viertel bis ein Fünftel reduzieren, um sich gemäß der Planetary Health Diet zu ernähren. Der Schwerpunkt liegt auf pflanzenbasierten Lebensmitteln, einer spezifischen Verteilung von Nahrungsmitteln, die sowohl gesundheitliche als auch ökologische Vorteile maximiert.

Laut Planetary Health Diet sollte man maximal 11 Kilo Fleisch pro Jahr essen. Die Empfehlung lautet: 0 bis 11 Kilogramm. (Foto: Unsplash, Monika Borys)

Wie gelingt der Umstieg?

Einerseits lässt sich die Reduktion des Fleischkonsums durch eine simple Erhöhung des Anteils von Pflanzen an der Ernährung erreichen. Das ist ein Weg, den beispielsweise Dänemark aktiv unterstützt. Dort hat man einen Plant Based Action Plan entwickelt. “Plant-based foods are the future”, heißt es zu Beginn. Dieser Action Plan wirk auf verschiedene Gruppen hin, den Pflanzenanteil in der Ernährung zu erhöhen. So kochen Schüler*innen beispielsweise gemeinsam nach diesen Vorgaben. Zudem legte die dänische Veterinär- und Lebensmittelbehörde 2022 eine Studie über die Möglichkeit vor, in öffentlichen Küchen immer ein zu 100 Prozent pflanzliches Essen wählen zu können. “Allein in den öffentlichen Küchen werden täglich etwa 650.000 Mahlzeiten zubereitet (…) Die Profiküchen spielen daher eine entscheidende Rolle bei der Inspiration und der Einführung schmackhafter, gesunder und klimafreundlicher Lebensmittel in Dänemark, um die Ernährung der Bevölkerung in eine pflanzlichere Richtung zu lenken”, liest man im Danish Action Plan for Plant Based Food.

Eine weitere Möglichkeit für den Umstieg auf pflanzliche Proteinquellen besteht darin, Landwirtschaft und Unternehmen dabei zu fördern, alternative Produkte zu entwickeln. All jene Produkte, die man schon jetzt als “vegan” oder “Plant based” gekennzeichnet in den Regalen findet, gehören in diese Kategorie. Es gibt bereits zahlreiche Fleisch-, Wurst- und Käsealternativen. Hinzu kommen zukünftig vermehrt Produkte, die auf Präzisionsfermentation basieren. Dieses Verfahren, setzt man in anderen Bereichen schon ein, beispielsweise um Insulin herzustellen. Produkte aus der Präzisionsfermentation sind hauptsächlich Vorstufen für weitere Inhaltsstoffe, mit denen man tierbasierte Produkte ersetzen kann. Beispielsweise lassen sich Aminosäuren herstellen, aus denen Kasein gewonnen und in der Folge Käse erzeugt werden kann.

Cultured Meat

Eine weitere Möglichkeit ist die Herstellung von künstlichem Fleisch. Dieses ist nicht synthetisch, sondern in seiner molekularen Struktur identisch mit dem Fleisch aus geschlachteten Tieren. Denn Cultured Meat wird durch die Vermehrung von Zellen aus Tierkörpern hergestellt. Früher wurden dafür Tiere getötet, doch mittlerweile nicht mehr. Man entnimmt kleine Zellproben (z. B. Muskel- oder Fettzellen) von einem lebenden Tier. In der Regel reicht eine winzige Menge, die entnommen wird und dem Tier wenig Schaden zufügt. Diese Zellen werden dann in eine Struktur gebracht und können Fleisch in jeder Form imitieren, denn sie wachsen zu Gewebestrukturen heran, die Fleisch ähneln. Je nach Art des Endprodukts kann das kultivierte Fleisch in Konsistenz und Geschmack an herkömmliches Fleisch aus Tierkörpern angepasst werden Über diese technologische Welle wird bereits viel diskutiert, allerdings wird es wohl noch einige Zeit dauern, bis die Entwicklung so weit fortgeschritten ist, dass man die Produkte in einem größeren Umfang in den Supermärkten finden wird. Höchstwahrscheinlich wird man auf hybride Produkte setzen, in denen nur ein bestimmter Anteil dieser Zellen tierlichen Ursprungs sind und der Rest pflanzliche Bestandteile.

Wir müssen unser Ernährungssystem massiv ändern (Foto: Pexels, Milada Vigerova)

Wie kann man Veränderung vorantreiben?

Es lässt sich faktenbasiert argumentieren, dass wir unser Ernährungssystem und unser Ernährungsverhalten massiv ändern müssen. Allerdings ist momentan nicht klar, woher die Veränderung, oder im Fachjargon, die Disruption kommt. Das können im Wesentlichen drei Gruppen sein.

Einerseits verlangen die Konsument*innen vermehrt Alternativen zum traditionellen Angebot der industriellen, tierbasierten Landwirtschaft. Andererseits greift die Lebensmittelindustrie selbst ein, Startups bringen neue Technologien zur Anwendung. Dazu kommen jene Gruppen, die den Ernährungssektor regulieren. Im weitesten Sinne gehört dazu auch die Politik, die hier die Rahmenbedingungen vorgibt. Von heute aus betrachtet, sind es vor allem die Konsument*innen und Startups, die  Veränderungen vorantreiben.

Je drängender und je sichtbarer das Problem wird, muss auch die Politik einsteigen und sich verstärkt dafür einsetzen, um sowohl dem Klimawandel und der Biodiversitätskrise etwas entgegenzusetzen als auch die Gesundheit zu verbessern.

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Ein Artikel von Susanne Karr
veröffentlicht am 5.11.2024
Als Philosophin und Journalistin beschäftige ich mich mit der Verbundenheit von menschlichen und nichtmenschlichen Lebewesen. Darum geht es auch in meinem Blog www.aureliapangolini.com
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