Englische Zeitsprünge: Vegane Zukunft und mythische Vergangenheit
London Animal Rights March 2018
25. August – Die Straßen Zentrallondons quollen über mit positiver Energie. Aus dem ganzen Vereinigten Königreich waren Menschen gekommen, um für die Rechte der Tiere ein lautstarkes, buntes und friedliches Zeichen zu setzen. Viele kamen auch vom europäischen Festland extra dafür angereist.
Der Animal Rights March brachte 10.000 Menschen auf die Beine. 2016 waren es nur 2.500, ein Jahr später schon doppelt so viele gewesen, und für 2019 zeigt die Zahl wohl noch über das heurige Ergebnis weiter nach oben. Diese Tendenz korreliert mit Daten, die besagen, dass die Anzahl der VeganerInnen in Großbritannien sich in den letzten beiden Jahren auf ca. 600.000 verdoppelt hat (Quelle: Glasvegans put their city at top of UK veg box list, in: „Metro“, 15.10.2018; Seite 8).
Der Tierrechtsmarsch begann nahe der Themse, ging am Parlament – beim Standbild von König Richard Löwenherz – vorbei, unter Lord Nelsons steinernen Augen am Trafalgar Square, über den belebten Piccadilly Circus bis zum Hyde Park Corner. Das Wetter sprang von Sonnenschein auf Regenguss und wieder retour. Insgesamt vier Stunden Fußmarsch, ohne dabei merklich zu ermüden. Die vegan getriggerten Glückshormone in der Menge Gleichgesinnter behielten einfach die Oberhand.
Am Ende wartete eine Tribüne mit einer Reihe von RednerInnen. Für mich als Fan der „Harry Potter“- Bücher und -Filme ein großes Vergnügen war die keynote speech von Evanna Lynch, ihres Zeichens Darstellerin der Luna Lovegood. Evanna lebt seit fünf Jahren vegan und setzt sich aktiv für Tierrechte ein, u.a. über ihren Podcast The Chickpeeps. Vegan magic.
Sechs Wochen später hatte ich Gelegenheit, im berühmten Londoner Wembley Stadion ein Spiel der American Football League NFL zu besuchen: Oakland Raiders vs. Seattle Seahawks. Fast 85.000 Menschen waren zu diesem Event gekommen. Eine tolle Stimmung vor beeindruckender Kulisse. Doch eines fehlte im Gegensatz zum Animal Rights March: das übergeordnete Ideal. Sportfans verbindet nur die Treue zu ihrem Verein – und selbst mit dieser nehmen es etliche bei Misserfolgen ihres Teams nicht so genau. Sonst hat man sich meist wenig zu sagen. Bei mir hören die Gemeinsamkeiten mit Co-Fans schon vor der Kantine auf; dann, wenn Fleisch verzehrt wird. Der Vergleich macht sicher. Ein Tierrechtsmarsch unter 10.000 Gleichgesinnten schlägt ein Sportevent mit 85.000 Fans allemal.
Glastonbury:
Blick zurück nach Avalon
30. August – Von London ging es über einen Zwischenstopp in meiner Lieblingsstadt Oxford weiter in die Grafschaft Somerset, nach Glastonbury. Der Legende nach sollen die Stadt und das mythische Eiland Avalon eins sein. Tatsächlich ergaben archäologische Ausgrabungen, dass die Region vor 2.000 Jahren ein Feuchtgebiet mit Sümpfen, Kanälen und Inseln war.
Wahrzeichen von Glastonbury ist der sogenannte Tor, ein 159 Meter hoher Hügel, dessen Kuppe der St Michael’s Tower krönt. Die Kelten glaubten, dass im Inneren des Tor ein Elfenkönig haust. Für die Christen galt die Erhebung als Pilgerstätte zum Erzengel Michael. Der Ausblick vom Tor auf die Somerset Levels, die Ebene bei Glastonbury, ist imposant.
Am Fuße des Tor gelangt man in einen botanischen Garten, der wie der Eingang ins Elfenreich wirkt. In seinem Inneren strömt die Chalice Well aus dem Gestein, die Gralsquelle, deren stark eisenhältigem Wasser heilende Wirkung nachgesagt wird. Es lohnt sich, einige Zeit still in diesem im positiven Sinne ‚weltfremd‘ wirkenden Garten zu verweilen und seine Pflanzenpracht zu bewundern.
Sowohl der Tor als auch die Chalice Well werden mit König Artus in Verbindung gebracht. Begraben soll der legendäre König einst in der Glastonbury Abbey gewesen sein. Die Abtei ist längst Ruine. Von den sterblichen Überresten des Herrschers ist nichts zu finden. Nur eine Tafel weist darauf hin, dass sie einst dort ruhten.
Vor Beginn der Dämmerung schnappte ich mir eine Karte und begab mich auf meinen allerersten Pilgerweg; aber nicht etwa zu Heiligenstätten, sondern zu zwei Baum-Methusalems: Gog und Magog. Entlang von Straßen, quer durch Wäldchen, Wiesen und eine Weide mit mich misstrauisch beäugenden Kühen, fand ich die beiden am Ende des Weges. Gog ist schon gestorben, sein aufrechter Stamm wurzelt aber noch. Magog trotzt arg zerrüttet seit 2.000 Jahren der Zeit und den Elementen. In keltischer Zeit galten die beiden als Tor nach Avalon.
Meine Unterkunft entsprach ganz dem Flair von Glastonbury. Im The Covenstead ist jedes Zimmer einem mythischen oder magischen Thema gewidmet. Den Frühstücksraum dominierten hochlehnige, geschnitzte Stühle und ein langer Tisch mit Kerzenständern; als wäre man in Hogwarts zu Besuch. Das Essen auf Wunsch voll vegan.
Avebury:
Erinnerung an die Vorzeit
1.September – Das Städtchen Avebury in der Grafschaft Wiltshire wartet mit Monumenten aus der Jungsteinzeit und Bronzezeit auf. Der Red Lion ist der einzige Pub in ganz England, der inmitten eines vorgeschichtlichen Steinkreises steht. Und auch mein Bed & Breakfast, Silbury House, stand inmitten dieses Kreises. Vom Fenster aus auf die Menhire blicken, das hatte das bestimmte Etwas. Mylo, der Hund meines Landlords, versprühte die tägliche Dosis Liebe.
Etwas außerhalb der Ortschaft erhebt sich der Silbury Hill, mit knapp 40 Metern der höchste von Menschenhand aufgeschüttete prähistorische Hügel Europas. Sein ursprünglicher Zweck ist bis dato unklar. Im Vergleich dazu: Der Tumulus von Großmugl im Weinviertel, mit 16 Metern einer der größten Grabhügel Mitteleuropas, ist dagegen ein Zwerg.
West Kennet Long Barrow, ganz in der Nähe des Silbury Hill, ist eine Grabanlage, deren Ursprünge bis 3.600 v. Chr. zurückreichen. Ein schön-schauriger Trip in die Vorzeit.
Etwas abseits der Menhir-Allee von Avebury ragen vital und majestätisch vier Blutbuchen aus dem Erdreich. Im Volksmund als Tolkien’s Trees bekannt, ziehen sie viele BesucherInnen an, da der berühmte „Herr der Ringe“-Autor J.R.R. Tolkien im Schatten ihrer Blätter an seinem Epos schrieb. Die mächtigen knorrigen Wurzeln sollen ihn zu seinen beseelten Bäumen, den Ents, inspiriert haben. Heutzutage werden bunte Bänder in das Geäst gebunden, um der Verstorbenen zu gedenken, oder um Wünsche und Schwüre von Liebenden anzubringen.
In London konnte ich einen Blick in eine mögliche Zukunft werfen, in der Tierrechte und Veganismus ein neues, gerechteres, empathisches und ökologisch-nachhaltiges Zeitalter einläuten könnten. In Glastonbury und Avebury zeigte sich Britanniens Geschichte von ihrer magischen Seite. Beides zusammen: zauberhaft!