Kann Fleisch „bio“ sein?

Achtung, dieser Post ist bereits aus dem Jahr 2022. Einige Informationen könnten veraltet sein.
Bio-Fleisch scheint vielen eine akzeptable Alternative zu Produkten aus Massentierhaltung. Herstellende Betriebe werben mit ihrer Sorge um das Wohlergehen der Tiere, häufig auch mit Respekt vor ihnen. Wir beleuchten, warum das bei philosophischer Betrachtung problematisch ist.

So würde man sich das Leben für die Tiere wünschen (Foto: Pexels, Helena Lopes)

Im Ethik.Guide, dem nachhaltigen Einkaufsführer, findest du in der Kategorie Lebensmittel sämtliche Bezugsquellen für einen genussvollen und klimafreundlichen Ernährungsstil. Es kann nach rein veganen Anbietern oder bioveganer Landwirtschaft gefiltert werden.

Viele Bio-Fleischproduzierende preisen ihre Produkte als besonders naturnah und tierfreundlich an. Dann ist doch alles in Ordnung! Die Tiere haben ein schönes Leben und springen auf  blumenreichen Almwiesen herum. Sie wühlen im Schlamm oder scharren vergnügt in gesunder Erde. Umfragen zeigen immer wieder, dass viele Menschen sich als TierfreundInnen verstehen und wollen, dass es Tieren gut geht. Das gute Leben der Bio-Schweine, -Hühner, -Enten, -Schafe, -Puten und -Rinder ist mit Sicherheit eine stark gewünschte emotionale Assoziation. Dazu kommen sachliche Details wie „gute Fütterung“ und „artgerechte Haltung“. Hinzuzufügen bleibt allerdings, dass selbst diesen Minimalanforderungen im Sinne des „Tierwohls“ auch im Bio-Betrieb nicht unbedingt nachgekommen wird. Ich erinnere mich an das Kälbchen, das von der Mutter getrennt tagaus tagein im Stall stehen musste, weil es als Bio-Jungrind zartes Fleisch haben sollte. Das heißt, es durfte nicht zu viele Muskeln entwickeln. Deswegen sollte es sich möglichst wenig bewegen. Die erwachsenen Rinder gingen hinaus auf die Weide, das Kälbchen musste zuschauen, wie die anderen hinausgingen.

Kalb mit Nummernschild in Einzelhaft (Foto: Pexels, cottonbro)

Rein menschliche Perspektive

Bio ist also ausschließlich eine Bezeichnung für menschliche Konsumierende und hat nichts mit der Erfahrung des getöteten Tieres zu tun. Wie „bio“ das Tier seine „Haltung“ empfindet, wäre reine Spekulation. Marketing geschieht aus der menschlichen Perspektive, wird von Menschen für Menschen entwickelt. Auch wenn das offensichtlich scheint, kann man trotzdem darüber nachdenken. Was bedeutet etwa „artgerecht“? Wer legt das fest? Diese Bezeichnung geht von einem spezifischen Charakter aus, den Angehörige einer bestimmten Tierart teilen. Sie legt nahe, dass zum Beispiel alle Schweine immer das gleiche wollen – wie Heuboden. Als ob sie ansonsten zufrieden wären, wenn sie meist sehr wenig Platz haben, um sich entfalten zu können. Ganz abgesehen einmal davon, dass sie als sogenannte „Nutztiere“ ohnehin ihr Leben in Gefangenschaft verbringen.

Ethisch vertretbar?

Es gibt zahlreiche Untersuchungen zu Sozialverhalten bei „Nutztieren“, über Intelligenz, emotionale Bindungen und Kommunikation – kurz das, was im menschlichen Bereich „Kultur“ heißt. Wenn man diese ernst nimmt, drängt sich die Überlegung auf, ob es tatsächlich ethisch vertretbar ist, diese Tiere einfach als Produzenten ihres eigenen Körpers zu sehen. Ob es nicht vielmehr an der Zeit ist, sich um einen anderen Umgang mit ihnen zu bemühen. Sie als Lebewesen mit eigener Persönlichkeit zu verstehen, die in manchen Dingen vergleichbar mit Menschen sind. Auch wenn Tiere diese als „wertvoll“ betrachteten Eigenschaften aus menschlicher Sicht nicht besitzen, heißt das keinesfalls, dass sie der menschlichen Willkür verfügbar und quasi „Freiwild“ sind.

Individuelle Persönlichkeit

Mitten in diese zermürbenden Überlegungen tritt nun die rettende Möglichkeit, Fleisch aus Biohaltung zu verwenden, wenn man nicht darauf verzichten will. Denn den Tieren ging es wenigstens gut, so die hoffnungsvolle Annahme. Selbst wenn dies zuträfe, sind sie doch von vornherein nur Material für eine zukünftige Mahlzeit. Wenn man versteht, dass Tiere eigene Interessen haben, die nichts mit menschlichen zu tun haben, kommt man unweigerlich zum Schluss, dass sie, wie alle Lebewesen ein Interesse an der Fortsetzung ihres Lebens haben. Evidenz dafür gibt es zu Genüge, da braucht man keinerlei theoretische Erörterungen. Immer wieder gelingt es einzelnen Tieren, dem Schlachttransport zu entkommen. Interessanterweise treten sie dadurch als Persönlichkeit ins Bewusstsein. Genau dieses einzelne Tier wird dann oft prominent, wird in Zeitungsartikeln und Videos porträtiert, erhält einen Namen. Man erlässt ihm den quasi logischen Gang eines Nutztiers zum Schlachthof und verschont dieses eine Individuum. Es „darf weiterleben“ – die anderen zahllosen Unbenannten selbstverständlich nicht.

Mit Glück vielleicht ein schönes, jedenfalls ein kurzes Leben (Foto: Pexels, Brett Sayles)

Tiere sind Subjekte

Es ist offensichtlich, dass jedes einzelne dieser Tiere, als wahrnehmendes Wesen, seine Welt aus der Perspektive eines „Ich“, eines Subjekts erlebt. Es ist dabei unerheblich, ob dieses Subjekt sich mit einem menschlichen vergleichen lässt. Ein wesentliches Recht eines Subjekts ist seine Unversehrtheit, sein Anspruch an ein möglichst selbstbestimmtes Leben und die Fortsetzung seines Lebens. Nichts von alledem wird den Tieren zugestanden.

Ein wenig kann man schon ins Grübeln kommen, wenn man sich vor Augen führt, dass das griechische Wort „bios“, von dem „bio“ sich ja ableitet, für „Leben“ steht. Auch für „den Zeitraum, in dem Leben stattfindet“. Eine weitere Bedeutung ist „Lebenskraft“. Wie kann diese Bezeichnung sinnvoll für etwas Totes verwendet werden?

Pseudo-Idylle

Hier gelangen wir auf eine tiefere Ebene des Agrar-Marketings, das mit allen Mitteln versucht, Menschen davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung ist. Dass es „immer schon so war“. Dass der Konsum von Produkten, die durch tierliche Ausbeutung hergestellt werden, legitim ist. Mehr noch, dass er normal und natürlich sei. Dass es einfach zu unserer Kultur gehöre, Teile aus toten Tierkörpern zu konsumieren. Dieser kulturelle Aspekt beruht oft auf der Beschwörung einer Pseudo-Idylle, in der Menschen und Tiere auf kleinen Höfen miteinander lebten. Sie ist ebenso falsch wie rückwärts gewandt. Zugestanden, kleinere Höfe und persönlichere Beziehungen mögen, damals wie heute, für Tiere – und auch Menschen – weniger emotionalen Stress bedeuten. Immer bleibt aber das gewaltvolle Ende. Und gerade in Fällen der gepriesenen persönlichen Beziehungen auf den Bio-Höfen auch immer der verstörende Aspekt des letztlichen Verrats am Tier, zu dem man vorher vermeintlich so freundschaftliche Beziehungen gepflegt hat.

 

Weiterführende Literatur:

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Ein Artikel von Susanne Karr
veröffentlicht am 1.03.2022
Als Philosophin und Journalistin beschäftige ich mich mit der Verbundenheit von menschlichen und nichtmenschlichen Lebewesen. Darum geht es auch in meinem Blog www.aureliapangolini.com
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