Zurück zur Natur: Renaturierung

Das Thema Renaturierung wurde in der Bevölkerung, den Medien und der Politik hierzulande hitzig und kontrovers diskutiert. Bis eine grüne Ministerin Nägeln mit Köpfen machte. Worum es bei diesem EU-Riesenprojekt geht und warum Renaturierung wichtig ist, schauen wir uns hier an.

Blau und Grün dominieren das Bild, Moorsee umgeben von Nadelwald.

Die Renaturierung von Mooren ist sehr aufwendig und kostspielig. Moore speichern jedoch riesige Mengen an CO2 in Form von Torf, sind also besonders relevant für den Klimaschutz. (Foto: Pexels, Pixabay)

Politische Hürden

Es war wie ein Polit-Thriller. Der Mut einer einzelnen Frau, sich im richtigen Moment und gegen immensen Druck dafür zu entscheiden, Haltung zu bewahren, war ausschlaggebend, um Europa einen historischen Schritt weiter zu bringen: Leonore Gewessler (Grüne) hat im Juni 2024 trotz der vehementen Ablehnung durch die ÖVP und andere konservative Gruppen und ohne Zustimmung der (meisten) Bundesländer im EU-Ministerrat ihre Stimme für die “Verordnung zur Wiederherstellung der Natur” abgegeben. Nur noch ein Land hat gefehlt, damit die EU 112 Milliarden Euro (etwa 6 Prozent des gesamten EU-Budgets) für Renaturierungsprojekte bereitstellen kann. Die Umweltministerin hat damit das Projekt gerettet. Die ÖVP wertete dies als Koalitionsbruch sowie verfassungswidrig und drohte mit Klage wegen Amtsmissbrauch. So weit kam es dann aus rechtlichen Gründen nicht mehr. 

Warum brauchen wir Renaturierung?

Es geht um die Wiederherstellung verloren gegangener Natur in den EU-Ländern, denn 80 Prozent der Lebensräume in der EU sind nach offiziellen Angaben in schlechtem Zustand. Das Gesetz soll dazu beitragen, den Kollaps des Ökosystems, die Auswirkungen des Klimawandels und dem drohenden Verlust der Biodiversität vorzubeugen. Renaturierung ist teuer, jedoch wären die Kosten, wenn wir weitermachen wie bisher um ein Vielfaches höher. Dies ist der Kern des “Green Deals” der EU, zusammen mit der Biodiversitätsstrategie. 

Natur, welche durch zivilisatorische Eingriffe der letzten Jahrhunderte verloren gegangen ist, kann nie mehr zu 100 Prozent in den Ursprungszustand zurückversetzt werden. Das komplexe Netz aus Organismen, die ein Ökosystem beleben, ist über einen langen Zeitraum entstanden, dies kann nicht einfach wieder hergestellt werden. Außerdem sind unsere Landschaften zu fragmentiert, viele Arten ausgestorben oder abgewandert. Der Schutz bestehender Natur ist daher mindestens genauso wichtig. Doch laut den meisten Studien ist die Wiederherstellung ein wesentlicher Bestandteil der Rettung aussterbender Arten von Lebewesen, von denen es sehr viele gibt. 

Was steht im Gesetz?

In der EU Verordnung geht es um verschiedene Gruppen von betroffenen Landschaften: Land- und Wasser-Ökosysteme inklusive Flussauen, Meeresökosysteme, Waldökosysteme (zum Beispiel höhere Diversität der Baumarten), Ökosysteme im städtischen Bereich (Erhalt und Vergrößerung von Grünflächen), Landwirtschaft (Zunahme biologischer Vielfalt) und Bestäuberpopulationen. In 10 Jahres-Schritten sollen solche Landschaften wiederhergestellt werden. Geplant ist, bis 2050 die Ziele umzusetzen. 

Jeder betroffene Bereich ist wichtig. Es wird in der Verordnung jedoch deutlich, dass eine Landschaft ganz besonderes Augenmerk bekommen soll: Die Renaturierung der Flüsse. In allen EU-Staaten sollen Fließgewässer und dazugehörige Auen auf einer Länge von 25.000 Kilometern zu „frei fließenden“ Gewässern werden. Flüsse und Bäche sind der am meisten beschädigte Landschaftstyp – seit vielen Jahrzehnten begradigt und umgeleitet, mit Auen, die ausgetrocknet wurden. Sehen wir uns diesen Bereich etwas genauer an. 

So hat der Inn in Innsbruck nicht immer ausgesehen. Von 517km Gesamtlänge sind 370km begradigt. Nach dem Hochwasser wurde klar, dass Flutkatastrophen eben durch die Kanalisierung hervorgerufen werden

So hat der Inn in Innsbruck nicht immer ausgesehen. Von 517 Kilometer Gesamtlänge sind 370 Kilometer begradigt. Nach dem Hochwasser 2005 wurde klar, dass Flutkatastrophen eben durch die Kanalisierung hervorgerufen werden. (Foto: Levente Koltai)

Der Fluss als Symbol einer veränderten Natur

Ulrich Eichelmann ist Leiter des Vereins River Watch mit Sitz in Wien. Er setzt sich seit langer Zeit für den Schutz von Flüssen ein. Warum gerade Flüsse? Weil diese besonders viel zu Landschaften beitragen, wegen ihrer Länge enorme Ökosysteme und Biodiversität beinhalten und sehr wichtige biologische Funktionen haben. Und weil sie die vom Menschen am meisten veränderten Ökosysteme sind, wie er im Interview auf OE1 sagt.

Allein in Österreich sind an die 500.000 Hektar Flusslandschaft im Laufe der Zeit verloren gegangen. Bereits im 19. Jahrhundert wurden Flüsse als Gefahrenquelle identifiziert, welche Städte und Dörfer zerstört. Flüsse wurden zu “Kanälen”, welche durch hohe Fließgeschwindigkeiten nun erst recht zu Überschwemmungen führen. Zu Recht schützen wir menschliche Lebensräume vor den Fluten. Doch jede Wiese und jeden Acker zu schützen bedeutet, die Landschaften und Flora und Fauna der Verarmung preiszugeben. Flüsse sind dynamisch, für Pflanzen und Tiere sind Überschwemmungen ein wichtiger Teil des Lebensrhythmus. Wir kennen heutzutage fast keine “echten” Flüsse mehr und haben uns zum Beispiel daran gewöhnt, dass die Donau auf den ersten 1.000 Kilometer gerade einmal 90 Kilometer freie Fließfläche besitzt, durchbrochen von 48 Staudämmen. Laut Eichelmann sind in Österreich sehr viele Flüsse ohne Grund kanalisiert. Zum Beispiel ließen sich die Schwarza und die March problemlos wieder in lebendige Flüsse verwandeln.  

Wir haben nicht nur versucht, das Wasser der Flüsse zu bändigen, sondern sind seit der industriellen Revolution auch auf die Idee gekommen, ihnen Energie abzugewinnen. Österreich ist weltweit das Land mit der höchsten Dichte an Wasserkraftwerken. Darauf weisen manche stolz hin. Schließlich ist das ja “Öko-Strom”. Doch gibt es hierzulande 5.200 Wasserkraftwerke, welche in Flussläufe eingreifen. Der Großteil des verbrauchten Stroms wird aber von nur 100 Kraftwerken produziert. Der Rest sind meistens Kleinkraftwerke und zerstören viel Lebensraum. Der Schaden ist oft größer als der Nutzen – mit einem geringen Wirkungsgrad und einer unsicheren Zukunft angesichts der drohenden Wasserknappheit.

Ein unregulierter Bach in einer Naturlandschaft, der hoffentlich so bleiben wird. Denn auch Kleinkraftwerke greifen in die Natur ein und oft ist der Schaden größer als der Nutzen des Öko-Stroms daraus. (Foto: Levente Koltai)

Lebendige Natur- und Kulturlandschaft

Am Beispiel der Fließgewässer in Österreich lässt sich die Sinnhaftigkeit der Renaturierung in der EU gut darstellen. Denken wir daran, wie viel Lebensraum allein an Flüssen wieder entstehen könnte, welche wichtig ist für eine funktionierende ökologische Zukunft. Umgelegt auf die ganze EU könnte das ein internationaler Durchbruch sein zu einer lebendigen und lebenswerteren Natur- und Kulturlandschaft. Zusammen mit stärkerem Schutz bestehender Natur, also wie zum Beispiel keiner neuen Wasserkraftwerke, können wir in einer Welt leben, die der Natur und uns Menschen ein gemeinsames Zuhause bietet. Auch für zukünftige Generationen. 

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Ein Artikel von Levente
veröffentlicht am 17.12.2024
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