Zwei-Klassen-Tierschutz: Im Gesetz ist Nutztier nicht gleich Nutztier (Teil 3)
Nahrung für Exoten: Futtertiere
Unter „Futtertieren“ versteht das TSchG „Fische, Hausgeflügel bis zu einem Alter von vier Wochen sowie Mäuse, Ratten, Hamster, Meerschweinchen und Kaninchen, die zum Zwecke der Verfütterung gehalten oder getötet werden.“ Wie landwirtschaftliche Nutztiere unterliegen Futtertiere damit der Verwertungslogik, deren Zweck darin besteht, anderen Tieren, z.B. Zootieren, als Nahrung zu dienen.
Im Sinne des Zwei-Klassen-Tierschutzes dürfen die Mindestanforderungen, die für die heimtierartige Haltung der jeweiligen Tierart gelten, unterschritten werden, wenn die Tiere „zum Zweck der Verfütterung in Tierheimen, Zoos sowie Tierhaltungen im Rahmen gewerblicher Tätigkeiten“ gehalten werden.
Als Begründung für diese Regelung wird angeführt, dass Futtertiere wesentlich kürzer leben als dies in der Regel bei der Haltung als Heimtier der Fall ist. Dabei wird allerdings übersehen, dass davon auszugehen ist, dass Tiere kein (differenziertes) Zeitverständnis und damit auch keine Vorstellung davon haben, dass das Leben unter unzureichenden Umweltbedingungen in absehbarer Zeit endet. Tiere sind nach allgemeiner Vorstellung im „Hier“ und „Jetzt“ verhaftet, und das kurze Leben, das sie als Futtertiere haben, ist alles, was ihnen bleibt.
Futtertiere dürfen auch von Laien getötet werden. Zwar ordnet das Tierschutzrecht an, dass die Tötung fachgerecht und unter Anwendung bestimmter Methoden erfolgen muss, doch müssen Personen, die Futtertiere töten, keine Sachkunde nachweisen.
Replacement und Reduction: Die restriktive Nutzung von Tieren zu wissenschaftlichen Zwecken
Versuchstiere sind eine besondere Gruppe von Nutztieren, die zum Zweck der Forschung, der Gewinnung und Prüfung von Stoffen (z.B. von Arzneimitteln) und der Aus- bzw. Fortbildung verwendet werden. Das Tierversuchsrecht normiert eine komplexe „Nutzungshierarchie“, da Tiere grundsätzlich nur dann zu wissenschaftlichen Zwecken herangezogen werden dürfen, wenn sie zum Zweck der Verwendung in Versuchen gezüchtet wurden. Die Verwendung anderer Tiere (z.B. unter Artenschutz stehende Tiere, Wildfänge und Tieraffen) unterliegt verschiedenen, graduell abgestuften Einschränkungen oder ist ausnahmslos verboten (streunende und verwilderte Tiere sowie Große und Kleine Menschenaffen).
Ähnlich wie landwirtschaftliche Nutztiere unterliegen auch Versuchstiere einer Zweckwidmung, doch ist ihre Verwendung deutlich restriktiver geregelt: Tierversuche dürfen nach dem Tierversuchsgesetz 2012 (TVG 2012)8 nur dann durchgeführt werden, wenn die damit verfolgte Zielsetzung (z.B. der Erkenntnisgewinn) nicht auf andere Weise (z.B. durch die Anwendung alternativer Methoden wie etwa Computersimulation oder Zellkulturen) erreicht werden kann. Ist ein Tierversuch in diesem Sinn unerlässlich, so darf nur jene Anzahl an Tieren verwendet werden, die aufgrund einer statistischen Planung erforderlich ist, um ein valides und aussagekräftiges Ergebnis zu erhalten. Schließlich darf ein tierexperimentelles Projekt nur dann durchgeführt werden, nachdem es von der Behörde im Hinblick auf das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen geprüft und genehmigt wurde.
Reduktion von Leid durch Alternativen zu tierischen Lebensmitteln?
Im Unterschied dazu unterliegt die Verwendung landwirtschaftlicher Nutztiere zur Gewinnung tierischer Erzeugnisse weder einer zahlenmäßigen Beschränkung noch muss nach dem Tierschutzrecht in irgendeiner Weise beurteilt werden, ob tierische Lebensmittel oder andere Produkte (teilweise) durch Alternativen ersetzt werden könnten. So werden in Österreich jährlich ca. 200.000 Tiere (überwiegend Mäuse und Ratten) zu wissenschaftlichen Zwecken verwendet, aber etwa 85 Millionen Tiere als Fleischlieferanten geschlachtet.
Schließlich ist für die landwirtschaftliche Nutzung von Tieren keine tierschutzrechtliche Bewilligung erforderlich. Nicht einmal die Inanspruchnahme von Ausnahmeregelungen (wie z.B. der ganzjährigen Anbindehaltung von Rindern) bedarf einer Genehmigung.
Artenschutz: Der Hype um Individuen bedrohter Arten
In den letzten Jahren hat sich der (Medien-)Hype rund um den Nachwuchs, den Wildtiere in menschlicher Obhut hervorbringen, zur Hysterie gesteigert. Auf der einen Seite werden Kälber in der konventionellen Milchproduktion unmittelbar oder kurz nach der Geburt von den Mutterkühen getrennt und männliche Eintagskücken zu Abertausenden geschreddert oder vergast, weil sie einer auf die Legeleistung gezüchteten Rasse angehören und ihre Aufzucht unrentabel wäre.
Auf der anderen Seite wird die Aufzucht eines „Panda-Buben“ im Zoo akribisch überwacht und medial dokumentiert, freilich nicht nur, weil es sich um einen Zuchterfolg handelt, sondern weil sich das freudige Ereignis als Publikumsmagnet erweist. Da ist es dann nur folgerichtig, wenn eine Tageszeitung mit „Große Trauer um toten Panda-Papa“ titelt9.
Fazit: Gleicher als gleich…
Der von kulturellen Gepflogenheiten, tradierten Gewohnheiten und subjektiven Vorlieben geprägte Umgang des Menschen mit nichtmenschlichen Tieren grenzt in vielen Bereichen an kollektive Schizophrenie. Da sich der faktische Umgang mit Tieren auf rechtlicher Ebene widerspeigelt, ist auch das Tierschutzrecht von einer erheblichen Ungleichbehandlung von Gleichem – nämlich von gleich oder zumindest ähnlich empfindenden Tieren – geprägt. Obwohl heute mehr über die Empfindungsfähigkeit, die Verhaltensansprüche und die kognitiven Fähigkeiten von Tieren bekannt ist als je zuvor, setzen sich Gesellschaft, Politik und Gesetzgeber über diese Erkenntnisse vielfach hinweg. Im Tierschutzrecht entscheidet die Zweckwidmung der Tiere und der daraus gezogene Nutzen über die Reichweite und Qualität des Schutzes der jeweiligen Tiere. Das geltende Tierschutzrecht kann daher auch als ein elaboriertes System legitimierter Ungleichbehandlungen bezeichnet werden. Im Sinne eines gerechteren Tierschutzrechts ist – daher – im Gedenken an den englischen Rechtsgelehrten und Philosophen J. Bentham – die folgende rechtsethische Forderung zu formulieren: „Die Frage ist weder ‚Können sie denken oder reden?‘ noch ‚Haben sie einen Nutzen?‘, sondern ausschließlich ‚Können sie empfinden?‘.“
Quellen:
8 BGBl. I Nr. 114/2012.
9 Österreich, 11.12.2016.
Dr. iur. Dr. phil. Regina Binder ist Leiterin der Informations- und Dokumentationsstelle für Tierschutz- & Veterinärrecht an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, Institut für Tierhaltung und Tierschutz.
Als Serviceeinrichtung steht die Dokumentations- und Informationsstelle für Tierschutz- und Veterinärrecht allen Universitätsangehörigen, Behörden und der interessierten Öffentlichkeit für rechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Mensch-Tier-Beziehung zur Verfügung.
www.vetmeduni.ac.at/tierschutzrecht/
regina.binder@vetmeduni.ac.at