Der flatterhafte Señor Caligo – Eine ungewöhnliche Rettungsaktion
Zwischenstation Innenhof
Auf seinem Weg von der Mariahilfer Straße runter in die Kassahalle hatte das unbeholfene wirkende Insekt zuvor das Bein einer jungen Frau angesegelt, die gerade die wieder mal defekte Rolltreppe hochging. Ihr entsetzter Schreckruf machte mich auf das Tier aufmerksam. Kurz danach landete es am Boden und hüpfte etwas orientierungslos umher. Noch ehe irgendjemand unabsichtlich oder absichtlich auf den Schmetterling steigen konnte, setzte ich ihm nach und konnte ihn nach wenigen Schritten vorsichtig zwischen meinen Handflächen zu fassen bekommen.
In raschem Gang brachte ich ihn in den nahegelegenen Raimundhof, wo sich hinter einem Café eine kleine mit Mulch ausgelegte Grünoase mit Blätterwerk und Bäumen befindet. Dort ließ ich den Flattermann (oder die Flatterdame) frei, in der Hoffnung, dass er/sie sich erholen und wegfliegen möge. Erstmals konnte ich die imposante Flügelspannweite von fast 15 cm und die schöne Zeichnung samt seitlichen Augenflecken bestaunen. Ich schoss ein paar Fotos und machte mich wieder auf den Weg zum Kurs. Unterwegs stellte ich die Bilder auf Facebook, verbunden mit der Frage, ob jemand die Art des Schmetterlings bestimmen kann.
Von Südamerika nach Wien?
Schon bald erhielt ich Antwort. Ein Wikipedialink identifizierte das Fluginsekt als Bananenfalter (Caligo eurilochus). Verblüffendes Ergebnis: Diese Schmetterlinge aus der Familie der Edelfalter gehören hierzulande nicht zu den autochthonen Arten. Sie sind in den drei Guyanas und in Amazonasgebieten Brasiliens heimisch. Als Raupe in der Bananenkiste über den Ozean gekommen? Einem Sammler entflogen? Ein Südamerikaner in Mariahilf? ¡María, ayúdame! Einfach nur wow!
Zu Mittag, gleich nach Kursende, begab ich mich wieder zum Café im Raimundhof, in der vagen Hoffnung, den Schmetterling wiederzufinden. Denn ein Exot in den kargen Steinschluchten eines Wiener Innenbezirks, das konnte keine Dauerlösung sein. Entweder er verhungert, wird zertreten oder der nächste Vogel schnabuliert ihn. Ich traf die Inhaberin des Cafés und deren Tochter an, erklärte den Vorfall, zeigte die Fotos am Smartphone und bat, mich zu informieren, falls der Findling wider Erwarten nochmals auftauchen sollte. Gerade als ich mich umdrehen und gehen wollte, bemerkte ihn die Tochter des Hauses am Boden sitzend.
Ende gut, alles gut…
Während seine Schönheit bestaunt wurde, organisierte man mir eine Kartonschachtel, in die er behutsam hineingesetzt wurde. Darüber kam ein umgedrehter Kunststoffblumentopf mit Abflusslöchern. Für Atmung war gesorgt. Danke für die Mithilfe! Bei fast 35 °C machte ich mich zu Fuß auf den Weg Richtung Ringstraße. Mein Ziel: das Schmetterlingshaus im Burggarten. Nach circa fünfzehn Minuten kam ich dort schweißgebadet, aber froh an. Meinem Schützling wurde sofort Asyl gewährt.
Im tropisch klimatisierten Innenbereich des Schmetterlingshauses war meine Freude noch größer. Ich sah zahlreiche seiner Artgenossen herumhüpfen. Diese Art zählt scheinbar nicht zu den großen Flugkünstlern. Nun hieß es, ihm die neue Umgebung zeigen. Ich setzte den Bananenfalter auf ein saftiges Blatt nahe am Wasser, da ich annahm, er hätte nach dem ganzen Stress vielleicht Durst. Von dort rutschte er ungelenk ins Nass, wo ich ihn sofort wieder rausfischte. Ertrinken war nach all der Mühe einfach verboten! Weg vom Wasser platzierte ich ihn mitten in der Pflanzenfülle. Zuerst wollte er nicht loslassen, klammerte an meinem Finger. Doch dann klappte es, und er nahm Platz auf einem Blatt und zeigte erneut seine volle Flügelpracht. Geschafft!
Noch schnell ein paar Fotos zur Erinnerung, und ich sagte Herrn Mariposa adiós. Ja, es war ein Herr Schmetterling, was sich aufgrund seiner Zeichnung nachlesen und bestimmen ließ. Doch vor dem Lebewohl musste er noch einen Namen erhalten. Unpersönlich von dannen gehen, ging nicht. Für mich hieß er von nun an Señor Caligo, der Flatterhafte. Mach’s gut, mein Lieber!