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Gunda: Schweinemama als Botschafterin der Empathie

„Gunda“ ist ein poetisches Plädoyer für einen neuen, empathischen Blick auf sogenannte ‚Nutztiere‘. Auf Lebewesen, die wir seit Jahrtausenden primär zur Nahrungsquelle degradieren, ohne ihnen Gefühle und Bewusstsein zuzugestehen. Gunda, die alleinerziehende Schweinemama, die mehr als die Hälfte des Films zu sehen ist, dient als Botschafterin für Menschlichkeit gegenüber Tieren – ohne diese zu vermenschlichen. Eine Gratwanderung, die Regisseur Victor Kossakovsky gut gelungen ist. Wir verlosen 2×2 Kinokarten.

Der Star des Films, niemand geringerer als Gunda selbst. (Foto: Filmladen Filmverleih)

„Erstes vegetarisches Kind der Sowjetunion“

Kossakovsky (60), der seit 2002 in Berlin als Filmessayist lebt und wirkt, bezeichnet sich selbst als vermutlich „erstes vegetarisches Kind der Sowjetunion“. Aufgewachsen in der Stadt, verbrachte er im jungen Alter von vier Jahren einige Monate in einem russischen Dorf. Dort lernte er Vasya kennen, der gerade mal ein paar Wochen auf der Welt war – ein Ferkel. Die beiden wuchsen rasch zusammen, und Kossakovsky sagt, dass die gemeinsame Zeit mit dem geliebten Schweinchen zu seinen schönsten Kindheitserinnerungen zählt. Doch eines Silvesters war Vasya plötzlich weg, getötet, zu Schnitzel verarbeitet. Kossakovsky war am Boden zerstört und wurde Vegetarier.

„Wir haben unsere Meryl Streep gefunden“

In den vergangenen 25 Jahren hatte der Regisseur mindestens zehnmal versucht, einen Film wie „Gunda“ zu drehen, doch niemand konnte sich vorstellen, wer sowas sehen wollen würde; niemand wagte, das finanzielle Risiko einzugehen. Auf einem norwegischen Bauernhof sollte es klappen, gleich am ersten Tag der Recherche. „Normalerweise verbringe ich eine Menge Zeit damit, das Herzstück meines Films zu entdecken. In diesem Fall habe ich die Tür zum Schweinestall geöffnet, und Gunda lief mir entgegen. Ich sagte zu unserer Produzentin Anita Rehoff Larsen: Wir haben unsere Meryl Streep gefunden“. Die Produzentin war an Bord.

Weder Farbe noch Musik ist nötig, um diesen Film zu einem eindrucksvollen Erlebnis zu machen. (Foto: Filmladen Filmverleih)

Fokus auf die Seele statt den Farben

Nichts wäre einfacher gewesen, als die Geschichte einer Schweinemama und ihrer quirligen rosa Ferkel fröhlich zu erzählen. Disney auf dem Lande mit realen Tieren. Doch genau das wollte der Regisseur nicht: keine Verniedlichung, ja nicht mal eine Erzählung. Er wollte nur ‚zeigen‘, sodass jede/r einen eigenen, ganz persönlichen Schluss ziehen kann. Daher ein Schwarzweißfilm, der die Seele der Tiere in den Fokus stellt; keine Farben, die vom Wesentlichen ablenken. Aus demselben Grund kommt „Gunda“ ohne ErzählerIn beziehungsweise Untertitel aus, auch ohne Musik. Nur die Laute der Tiere sind hörbar und Motorengeräusche einer Landwirtschaftsmaschine.

Bilder ohne Hast, die haften bleiben

Kossakovsky sagt, dass er „keinen Propagandafilm für Veganismus“ drehen wollte, wo Schlachtszenen gezeigt werden, denn das würde dazu führen, dass sich viele ZuseherInnen gegen das Gezeigte sperren. Über diesen Zugang könnte man anderer Meinung sein. Feststeht, dass auch sein ruhiger Blickwinkel die Augen ein Stück mehr für die Rechte von ‚Nutztieren‘ öffnet und hoffentlich ebenso die Herzen. Denn wenn Gunda, ich muss leider spoilern, am Ende des Filmes ihre Ferkel weggenommen und abtransportiert werden, fühlt man ihre Irritation, ihre Verzweiflung, hört ihre Suchrufe nach den Kleinen. Wer kann dann noch bestreiten, dass ‚Nutztiere‘ zu tiefen Gefühlen fähig sind? Ihre Sprache ist nur eine andere. Und die Schweinemama steht nicht allein da. Eine Hühnerschar auf einem Gnadenhof, die erstmals die Wiese genießt. Mittendrin ein einbeiniges Huhn, das noch etwas unsicher, aber sehr erkundungsbegierig in die Freiheit stakt. Oder eine ältere Kuh, der es vergönnt war, nicht ausgemergelt nach wenigen Jahren getötet zu werden. Das sind Eindrücke, die haften bleiben.

Schweine sind nicht die einzigen Protagonisten. (Foto: Filmladen Filmverleih)

Wider den Akt des Tötens

Schon 1900 schrieb Leo Tolstoi, dass die Menschen ihr Leben nicht fundamental ändern werden, solange das Töten nicht gestoppt wird. Damit meinte er nicht nur Kriege, sondern auch Schlachthöfe. Victor Kossakovsky steht da ganz in der Tradition seines berühmten Landsmannes: „Wir müssen realisieren, dass der Akt des Tötens als solches – egal, wen wir töten – schrecklich ist. Ich will den Menschen helfen, den ersten Schritt zu machen, um ihn aus ihren Leben zu beseitigen.

Bei Gunda ist dieser Paradigmenwechsel schon gelungen, sie ist in ‚Rente‘, wird nicht zum Schlachter geschickt und darf mit Wiese, Stroh und Schlammbad ein nahezu natürliches Schweineleben führen. Millionen ihrer Artgenossinnen vegetieren weiterhin in verkoteten, stickigen Hallen über Vollspaltenböden dahin und verstümmeln sich und andere Schweine – aus Stress und Leid. Ändern wir das! Hören wir Gunda gut zu! Dann sind auch ihre Ferkel nicht ganz umsonst gestorben.

Hinweis: Das Gewinnspiel ist bereits beendet!

Über den Film

Ausführender Produzent war kein Geringerer als Oscar-Preisträger Joaquin Phoenix, der mit seiner Frau Rooney Mara vegan lebt und sich für Tierrechte engagiert. „Gunda“ stand auf der Shortlist für den Oscar als bester Dokumentarfilm 2020. Beim 28. Filmfest Hamburg gewann er den Publikumspreis.

Regie
VICTOR KOSSAKOVSKY

93 Minuten

2020

Mein großes Danke geht an filmladen.at für die Zurverfügungstellung von Unterlagen und für die freundliche Kooperation.

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Ein Artikel von Alexander
veröffentlicht am 2.09.2021
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