Wer bestimmt den Wert von Tieren?

Die einen werden gestreichelt, gehätschelt und immer öfter in Kinderwägen spazieren gefahren, die anderen eingesperrt, gemästet und getötet. Tiere haben sehr unterschiedlichen Wert in der allgemeinen Anschauung. Die sogenannten Nutztiere und Versuchstiere genießen keinerlei Anspruch auf ein Leben, das diesen Namen verdient. Obwohl man feststellen kann, dass es ganz so einfach auch wieder nicht ist.

Was macht die einen zum besten Freund und die anderen zur Proteinquelle? (Foto: Pixabay, Fotokalde)

Im Ethik.Guide, dem Einkaufsführer für fairen und nachhaltigen Konsum, findest du in der Kategorie Putzen & Waschen zahlreiche Reinigungsmittel-Marken, die ökologisch und tierleidfrei sind. Ebenso gelistet sind nachfüllbare Reinigungsmittel und ökologische Waschsalons.

Wenn wieder einmal die skandalösen Zustände in Tierfabriken auffliegen und in den Medien dargestellt werden, reagieren viele KonsumentInnen mit großer Empörung. Niemand hat gewusst, was für schreckliche Bedingungen in den Betrieben herrschen. Niemand hat sich aber scheinbar überlegt, wie so billige Preise für Fleisch- und Milchprodukte zustande kommen. Wenn die Anzahl von „Versuchstieren“ bekannt wird, die für menschliche Zwecke ihr Leben lassen müssen, gibt es zwar oft ungläubiges Entsetzen. Aber viele Menschen erachten solche Versuche als notwendig und daher gerechtfertigt. Damit schädliche Folgen für Menschen ausgeschlossen sind, ist vieles also erlaubt und entschuldbar.

Unsichtbare Tiere?

Das hat wohl auch damit zu tun, dass sowohl „Nutztiere“ als auch „Versuchstiere“, nicht als Lebewesen sichtbar sind. Die meisten sind in Ställen und Käfigen außerhalb Sichtweite untergebracht. Wer genauere Einblicke erlangen will, steht schnell außerhalb des Gesetzes. Tierproduzierende Betriebe klagen auf Hausfriedensbruch, wenn TierschützerInnen weiter vordringen. Diese Bestimmung passt nicht zum Recht von VerbraucherInnen, über Produktionsweisen informiert zu sein. Der Staat schützt hier die Produzierenden. Er unterstützt dadurch die Verschleierung der wahren Verhältnisse in der Tier- und Medizin- bzw. Kosmetikindustrie. Welche Einflüsse hier wirksam sind, könnte einen weiteren Blogartikel füllen.

Solche Lebensbedingungen findet kaum ein Küken vor. © Pixels

Solche Lebensbedingungen findet kaum ein Küken vor (Foto: Pexels)

Wie erwähnt, scheint es in der Allgemeinheit doch ein Gefühl für „die Tiere“ zu geben. Daraus ergeben sich meist 3 Handlungsvarianten:

1) Ausblenden

Man will nicht wissen, wie es den Tieren wirklich geht. Lieber glaubt man den Werbemessages von glücklichen Hühnern, frei laufenden Weiderindern, munter schwimmenden Fischen und fröhlich im Schlamm wühlenden Schweinen. Die aktuelle Vermarktungsstrategie mit dem Aspekt „Tierwohl“ scheint viele KonsumentInnen zu beruhigen, dass sie das Richtige tun, wenn sie zu Produkten mit diesem Label greifen. Erstaunlich ist immer wieder, mit welchen verdrehten Argumenten der Tod des Tieres, das ja schließlich doch auf dem Teller landen soll, gerechtfertigt ist. Der Tod wird ausgeklammert, er passt  nicht auf die Blumenwiese und nicht in die glasklaren Gewässer. Wer weiter guten Gewissens konsumieren will, darf nicht hinter die Kulissen schauen.

2) Abwerten

Man reduziert „Nutztiere“ auf ihren Nutzen für Menschen. Tatsächlich hört man das Argument, dass Nutztiere für menschliche Verwendung da sind, nicht selten. Begründung: „Sie heißen ja Nutztiere“. Ohne auf diese sinnfreie Aussage weiter einzugehen, muss festgehalten werden, dass der Begriff „Nutztier“ sich in unterschiedlichen Kulturen ganz verschieden interpretieren lässt. Dass Konsumverhalten stark davon abhängt, was in einer Kultur als normal und natürlich gilt, hat die Psychologin Melanie Joy in ihrem Buch „Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen“ verständlich erklärt. Manch einer empört sich, wenn woanders Hunde und Katzen als Speisen zubereitet werden, während er sein Würstel isst.

Manche Tiere, meist Hunde, Katzen und Pferde genießen in unserer Kultur die Zuschreibung einer Persönlichkeit. Man betrauert ihren Tod wie den eines Freundes. Schweine, Kühe, Ziegen und Schafe, Hühner und Fische hingegen haben den Status beweglicher Dinge. Empfindungsfähigkeit und eigener Wille wird ihnen schlicht abgesprochen. Man muss die Anzeichen der Lebendigkeit ausblenden, wenn man den sogenannten Nutzen für den Menschen im Auge behält. Dass Tiere sich bewegen wollen und atmen, schreien oder strampeln, sich wehren, wenn man sie festhält. Um das Prinzip Nutztier zu rechtfertigen, ist es wichtig, Tiere rein als Produzenten ihres eigenen Körpers zu sehen. So gesehen leben sie nur, um Fleisch, Eier, Milch, Fell, Leder und Wolle für Menschen zu produzieren. Sie dürfen keine Persönlichkeit haben, sonst könnte man nicht so leicht über sie verfügen. Es gibt aber auch den Fall, dass auf manchen Höfen die Tiere Namen haben und quasi freundschaftlich behandelt werden – bis zum ultimativen Verrat, wenn sie doch getötet werden. Ein Riss in diesem Weltbild, in dem man „Nutztiere“ nicht als Persönlichkeiten versteht und ihnen Ding-Charakter zuschreibt, entsteht allerdings immer, wenn ein einzelnes Tier der Anonymität entkommt. Wenn es etwa vom Schlachttransporter fliehen kann. Solche Geschichten sind medial wirksam. Mit der Zuerkennung von Persönlichkeit kommen Emotionen ins Spiel. Man ist sich dann einig, dass diese Tiere keinesfalls geschlachtet werden sollen. Als wenn sie sich das Recht auf Leben verdient hätten, dadurch, dass sie so offensichtlich gerne leben wollen.

Ein Leben wie indische Kühe am Strand...

Ein freies Leben ist wenigen vergönnt (Foto: Pexels, Rahul Pandit)

3) Hinschauen und Aussteigen

Man zieht die Konsequenz und klinkt sich aus einem System aus, das auf der Ausbeutung lebendiger, empfindungsfähiger Lebewesen beruht. Die Macht der KonsumentInnen zeigt sich jeden Tag in der Wahl ihrer Produkte. Damit verbunden ist immer die Entscheidung, wen man unterstützen will. Wer sich selbst wach und mitfühlend in der Welt bewegt, wird beispielsweise traditionelle Agrar- und Kosmetikindustrie nicht länger fördern wollen. Wer auf Zukunftssicherheit in der Lebensmittelversorgung setzt, argumentiert vielleicht für eine direkte Verwendung von Getreide und anderen Pflanzen als Nahrung für Menschen. Das heißt, diese wären nicht mehr Futtermittel für die Tierhaltung verwendbar. Diese Strategie punktet vermehrt in einer Situation drohender Lebensmittelknappheit durch Krieg und Dürre. Auch in den Bereichen Kosmetik, Wasch- und Reinigungsmittel lässt sich leicht auf tierleidfreie Produkte umsteigen. Wer darauf achtet, wird sich wahrscheinlich wundern, wie viele Produkte diesbezüglich nicht einwandfrei sind. Unter der Herstellung soll niemand zu Schaden kommen. Die Ansicht, Tiere seien frei verfügbar, ist immer weniger akzeptabel. Nicht nur aus Gründen des Mitgefühls, sondern auch aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse, die zeigen, wie viel Bewusstsein und Schmerzempfindung Tiere haben. Und zwar nicht nur die beliebten „Haustiere“, sondern alle.

Veränderungen

Die Haltung zu Tieren ist ein veränderlicher Prozess. Die Tierschutzbewegung hat durch Aufklärung und Sichtbarmachen vieles erreicht. Zynische Vermarktung gibt es zwar immer noch – etwa wenn ein Schild mit einem grinsenden Schwein vor der Fleischerei die Produkte anpreist. Oder wenn Bilder verschiedener „essbarer“ Tiere über dem Eingang auf die Auswahl der angebotenen Körperteile verweisen. Andererseits erfreuen sich pflanzliche Lebensmittel-Alternativen über stets wachsende Nachfrage. Sogar große Fast-Food-Ketten machen mit rein veganen Filialen Schlagzeilen. Und auch andere vegane Burger sind längst akzeptiert und beliebt. Ganz zu schweigen der steigenden Anzahl pflanzlicher Angebote in Supermärkten. Zudem gibt es immer mehr Testmöglichkeiten für kosmetische und medizinische Produkte. Ein Trend aus Großbritannien, sich „ausgediente Legehennen“ als Haustiere in den Garten zu holen, erfreut sich auch hier großer Beliebtheit. Wenn sie ihre Angst vor den Menschen überwinden, strahlen sie etwas Beruhigendes aus, und jedes Huhn hat eine eigene Persönlichkeit, sagen neue HühnerhalterInnen. Vielleicht ist es also doch so, dass alle Tiere  früher oder später als lebendige Wesen wie du und ich, wie Hund und Katze, wie Fuchs und Gans, wahrgenommen werden.

Artikel teilen:
Profilbild
Ein Artikel von Susanne Karr
veröffentlicht am 26.07.2022
Als Philosophin und Journalistin beschäftige ich mich mit der Verbundenheit von menschlichen und nichtmenschlichen Lebewesen. Darum geht es auch in meinem Blog www.aureliapangolini.com
DSGVO Cookie-Einwilligung mit Real Cookie Banner