Zwei-Klassen-Tierschutz: Zur Ungleichbehandlung von Tieren im Tierschutzrecht (Teil 1)
Was bedeutet Zwei-Klassen-Tierschutz?
Bücher wie M. Joys „Why We Love Dogs, Eat Pigs, and Wear Cows“1 (dt. „Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen“) haben das Bewusstsein dafür geschärft, wie ungleich Tiere behandelt werden, obwohl sie in einem für den Tierschutz relevanten Aspekt – der Empfindungsfähigkeit – gleich sind. Weniger bekannt dürfte jedoch sein, dass dieses Phänomen, das auch als „Zwei-Klassen-Tierschutz“ bezeichnet wird, durch das Tierschutzrecht grundgelegt und dadurch legitimiert wird.
Speziesismen im Tierschutzrecht
Der von R. Ryder geprägte2 und von P. Singer populär gemachte Begriff „Speziesismus“ bezeichnet die Diskriminierung eines Lebewesens aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Art (Spezies). Obwohl sich der Begriff üblicherweise auf die Diskriminierung der Tiere gegenüber dem Menschen bezieht, werden nicht alle Tiere in gleicher Weise benachteiligt. Die Mensch-Tier-Beziehung ist vielmehr durch eine Fülle speziesistischer (Wert-)Entscheidungen und Verhaltensweisen charakterisiert, die durch Kultur und Tradition, aber auch durch persönliche Vorlieben geprägt und beeinflusst, jedoch nur selten kritisch reflektiert werden.
Tierschutz hat sich von einem vorwiegend emotional vorgetragenen Anliegen zu einer wissenschaftlichen Disziplin („Animal Welfare Science“) entwickelt. Das Tierschutzgesetz (TSchG)3 ordnet ausdrücklich an, dass bei der Festlegung der Mindestanforderungen an die Haltung von Tieren auf den anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse, also z.B. auf das Wissen über die (Schmerz-)Empfindungsfähigkeit, das Verhalten und die kognitiven Fähigkeiten der Tiere, Bedacht zu nehmen ist. Obwohl kaum jemand behaupten würde, dass etwa Hunde in höherem Maße leidensfähig sind als z.B. Schweine, werden die Verhaltensansprüche dieser Tierarten nicht in gleicher Weise berücksichtigt. Und obwohl das Uralt-Argument, wonach die Schmerzempfindungsfähigkeit bei sehr jungen Tieren noch nicht ausgeprägt ist, längst widerlegt wurde, soll es nach einem aktuellen Entwurf zur Novellierung der Rechtsvorschriften über Eingriffe an landwirtschaftlichen Nutztieren z.B. weiterhin zulässig sein, männliche Ferkel ohne perioperative Schmerzausschaltung, d.h. ohne Narkose, zu kastrieren.
Gefressen und gehätschelt: Landwirtschaftliche Nutztiere vs. Heimtiere
„Gehätschelt und gefressen“, so hat der Kulturphilosoph J. Hermand schon zu Beginn der 1980er Jahre die Bipolarität der Mensch-Tier-Beziehung charakterisiert4. Das augenfälligste Beispiel für speziesistische Wertentscheidungen im Tierschutzrecht betrifft die tiefgreifende und wissenschaftlich nicht begründbare Ungleichbehandlung von landwirtschaftlichen Nutztieren einerseits und Heimtieren andererseits. Zwar sind auch die für die Haltung von Heimtieren geltenden tierschutzrechtlichen Mindestanforderungen (vgl. z.B. die Zwingerhaltung von Hunden) z.T. weit von dem entfernt, was als tiergerecht bezeichnet werden könnte. Dennoch zeigt sich in der Berücksichtigung der tierlichen Bedürfnisse ein deutliches Gefälle zwischen Heim- und Nutztieren. Und je enger die Beziehung des Menschen zu seinen Heimtieren wird, umso drastischer tritt diese Ungleichbehandlung zutage.
Der wohl erstaunlichste Wertungswiderspruch innerhalb des TSchG betrifft den Umgang mit dem tierlichen Leben. Obwohl das Ziel des TSchG darin besteht, nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch das Leben der Tiere zu schützen, zeigt eine genauere Betrachtung der einzelnen Bestimmungen, dass das Leben von Tieren im Tierschutzrecht höchst unterschiedlich behandelt wird, je nachdem, ob es sich um Nutz- oder Heimtiere handelt. Vor allem Hunde und Katzen werden zunehmend als Familienmitglieder betrachtet und kremiert oder beerdigt, nachdem sie „über die Regenbogenbrücke gegangen“ sind. Rinder, Schweine und andere Nutztiere enden im Schlachthof und landen schließlich auf dem Teller.
Schon nach der im TSchG enthaltenen Legaldefinition unterliegen bestimmte Tiere von Geburt an der Verwertungslogik. Das TSchG definiert „landwirtschaftliche Nutztiere“ als „alle Haus- oder Wildtiere, die zur Gewinnung tierischer Erzeugnisse (z.B. Nahrungsmittel, Wolle, Häute, Felle, Leder) oder zu anderen land- oder forstwirtschaftlichen Zwecken gehalten werden.“ Nutztiere sind somit ex lege dazu bestimmt, vor allem zur Produktion tierischer Erzeugnisse verwendet und zu diesem Zweck getötet zu werden. Der „vernünftige Grund“, der erforderlich ist, um die Tötung eines Tieres zu rechtfertigen, wird in diesem Fall vom Gesetzgeber fingiert. Auf der anderen Seite ist es nach dem TSchG ausdrücklich verboten, Hunde und Katzen zum Zweck der Gewinnung von Nahrungsmitteln oder anderen Produkten zu töten.
Quellen:
1 Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen: Karnismus – eine Einführung. 5. Aufl. Münster: compassion media 2013.
2 http://www.62stockton.com/richard/index.html
3 Sofern nicht anders angegeben beziehen sich alle Ausführungen in diesem Beitrag auf das österreichische Tierschutzgesetz (TSchG), BGBl. I Nr. 118/2004, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 80/2010 (Novellierung aktuell in Vorbereitung).
4 J. Hermand (1981): Natur und Natürlichkeit. Stationen des Grünen in der deutschen Literatur. Hrsg. v. R. Grimm und J. Hermand. Königstein/Ts.: Athenäum. S. 55.
Dr. iur. Dr. phil. Regina Binder ist Leiterin der Informations- und Dokumentationsstelle für Tierschutz- & Veterinärrecht an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, Institut für Tierhaltung und Tierschutz.
Als Serviceeinrichtung steht die Dokumentations- und Informationsstelle für Tierschutz- und Veterinärrecht allen Universitätsangehörigen, Behörden und der interessierten Öffentlichkeit für rechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Mensch-Tier-Beziehung zur Verfügung.
www.vetmeduni.ac.at/tierschutzrecht/
regina.binder@vetmeduni.ac.at