Das Verborgene ans Tageslicht bringen – Timo Stammberger im Gespräch (Teil 2)

Achtung, dieser Post ist bereits aus dem Jahr 2017. Einige Informationen könnten veraltet sein.
Aktivist und Fotograf Timo Stammberger aus Berlin hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Wirklichkeit der Massentierhaltung und der industriellen Tierhaltungsbetriebe ans Licht zu bringen. Im ersten Teil haben wir mit ihm über seine Fotoserie „Making the Connection“ gesprochen, heute geht’s weiter.

„Aufgezogen“ auf gut versteckten Fabrikfarmen und wenige Wochen später getötet (Foto: © Timo Stammberger/AnimalEquality, Duck for Christmas)

Du dokumentierst u.a. gemeinsam mit der Organisation Animal Equality auch die Zustände in Tierfabriken (Duck for Christmas). Ich stelle mir das sehr belastend vor. Wie schaffst du es psychisch mit dem erlebten Tierleid umzugehen?

Aus meiner Perspektive muss es Menschen geben, die diese dokumentarische Aufgabe erledigen und das institutionelle Versagen etwa der Veterinärämter irgendwie ausgleichen. In der Anlage konzentriere ich mich nur auf meine Arbeit: das Fotografieren. Die Anlagen sind unglaublich heiß, stickig und laut. Im Gegensatz zu den Tieren, bin ich freiwillig dort. Ich kann am Ende die Tür hinter mir wieder schließen und gehen. Sie können das nicht. Das rufe ich mir immer wieder ins Bewusstsein. Und das gibt mir unendlich viel Kraft in diesen Momenten.

(Foto: © Timo Stammberger/AnimalEquality)

Natürlich geht das alles nicht spurlos an mir vorbei. Das Tierleid hautnah mitzuerleben, ist emotional sehr belastend: Nicht nur, weil man all das Leid sieht, sondern vor allem auch, weil man den Tieren nicht direkt helfen kann und sie ihrem fremdbestimmten Schicksal überlassen muss.

(Foto: © Timo Stammberger/AnimalEquality)

Es ist immer eine Herausforderung nach den Recherchen, nach dem Eintauchen in diese unvorstellbare Unterwelt, wieder in der „Zivilisation“ zu sein – denn diese fühlt sich dann vollkommen unrealistisch, oberflächlich und fremd an. Und ich selbst fühle mich wie betäubt. Ich bin mir sicher, dass jeder, der das einmal mit eigenen Augen gesehen und selbst miterlebt hat, sich auch gegen die Ausbeutung von Tieren aussprechen würde.

In Deutschland werden jährlich ca. 25.000.000 Enten für ihr Fleisch getötet (Foto: © Timo Stammberger/AnimalEquality, Duck for Christmas)

Meiner Meinung nach besteht die Kunst ja gerade darin, das Gesehene und Dokumentierte so aufzubereiten, dass das Dargestellte für die Öffentlichkeit nachempfindbar wird und im besten Fall dann zu Verhaltensveränderungen – sprich anderen Konsumentscheidungen – führt.

Timo Stammberger

Um journalistische Standards zu gewährleisten, wird ein GPS-Gerät zusammen mit einer aktuellen Zeitung eingesetzt, das den Medien den zeitlichen und räumlichen Ablauf im Nachhinein nachweist (Foto: © Timo Stammberger/AnimalEquality, Duck for Christmas)

Das Gesehene motiviert mich umso mehr. Recherchen haben die öffentliche Meinung zu diesem Thema nachweislich beeinflusst, große Firmen dazu veranlasst, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Die Menschen möchten wissen, was hinter den Mauern der Tierfabriken vor sich geht. Auch wenn die Umstände traurig sind, die Interaktion mit den Tieren während des Dokumentierens ist im Nachgang enorm motivierend für mich.

(Foto: © Timo Stammberger/AnimalEquality, Duck for Christmas)

Wie schon andere AktivistInnen vor mir erwähnt haben, verlasse ich die Anlagen oft mit einem letzten Blick auf die Tiere mit dem Versprechen, alles in meiner Macht stehende zu tun, um das Gesehene öffentlich zu machen und dadurch kurzfristig das Leid zu verringern und langfristig ganz zu verhindern.

Timo Stammberger

Die Tiere werden darauf gezüchtet, die größtmögliche Fleischmenge zu produzieren. Dabei können sie ihr Eigengewicht oft nicht mehr tragen (Foto: © Timo Stammberger/AnimalEquality, Duck for Christmas)

Deinem Instagram-Account nach zu schließen, liebst du Smoothies ;) Lebst du vegan? Aus welchen Gründen hast du dich dazu entschieden? Gab es ein Schlüsselerlebnis?

Ich bin nicht vegan geboren, aber nachdem ich herausgefunden hatte, welche unglaublich negativen Auswirkungen Tiere zu essen hat, habe ich mich entschieden, vegan zu leben und so mehr Verantwortung für meinen Konsum zu übernehmen. Besonders motiviert haben mich diverse Fernseh-Dokumentationen über Tierleid und einschlägige Filme wie Earthlings.

(Foto: © Timo Stammberger/AnimalEquality)

Dann kam das Wissen über die Auswirkungen auf die Umwelt dazu sowie die gesundheitlichen Probleme, die mit dem Tierkonsum einhergehen. Und letztlich wirkt sich dieser auch auf Gerechtigkeitsfragen in der Welt aus und spielt eine Rolle für Fluchtursachen in der Dritten Welt. Hier schließt sich dann der Kreis zu meinem anderen Herzensthema – den Geflüchteten.

Smoothies sind für mich eine Art Trigger, um auf mich zu achten. „Nachhaltiger Aktivismus“ ist mir sehr wichtig. Ich versuche, mich relativ gesund zu ernähren und mache regelmäßig Sport als Ausgleich, um nicht auszubrennen. Ich möchte noch viele Jahre aktiv sein und dazu muss ich mental und körperlich fit bleiben :)

(© Timo Stammberger/AnimalEquality, Duck for Christmas)

Hast du neue Projekte oder Ideen, über die du sprechen möchtest?

Ich arbeite zur Zeit an vier Projekten. Alle drehen sich um Tier- und Menschenrechte. „Making the Connection“ wird einen neuen Titel bekommen, mit vielen neuen Bildern aktualisiert werden, und das Projekt wird eine eigene Website bekommen.

(Foto: © Timo Stammberger/AnimalEquality)

Langfristig möchte ich gerne zusammen mit anderen Aktivisten eine Plattform gründen, die sich idealerweise zu einer kreativen Zentrale entwickelt, wo man zusammen arbeiten und leben kann und Aktivisten gemeinsam Projekte entwickeln und umsetzen können.

(Foto: © Timo Stammberger/AnimalEquality)

Wir wünschen dir viel Erfolg für deine Projekte, du leistest großartige Arbeit! Vielen Dank für das Gespräch und deinen unermüdlichen Einsatz! :)

Timo Stammberger, 1980 geboren, wuchs in Hamburg und Frankfurt auf. Er studierte an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin, lebt und arbeitet derzeit ebendort.

Ihn beschäftigen Themen, die in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen werden. Dies zeigt sich schon in seinen frühen Serien „Underground Landscapes“ über U-Bahn Tunnel in Großstädten in Europa und den USA oder „Urban Artist“, eine Reihe von Portraits von Graffiti- und Street-Artists, die aufgrund der Natur ihrer Arbeit anonym agieren. Er möchte mit seinen Arbeiten konkret etwas positiv verändern. 2015 porträtierte er in seinem Fotoblog „Humans of LaGeSo“ geflüchtete Menschen, die mitten in Berlin sind, deren dramatische Lebenssituation für die meisten aber vollkommen unsichtbar bleibt. Diese Serie wurde bei Spiegel Online veröffentlicht. Mit seinen Projekten zum Thema Tierrechte möchte er das verborgene Ausmaß der industriellen Massentierhaltung kritisch reflektieren und sichtbar machen.

www.timostammberger.com

© Ria Rehberg

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Ein Artikel von Luise
veröffentlicht am 25.10.2017
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