Was ist damit überhaupt gemeint? “Als Begründer der Degrowth Bewegung gilt Serge Latouche, der den Begriff „décroissance“ prägte und damit eine zivilgesellschaftliche Bewegung begründete”, heißt es im Lexikon der Nachhaltigkeit. Der Ausdruck “Degrowth”, im deutschsprachigen Raum auch als “Postwachstum” bekannt, steht für eine Alternative zu gängigen Ökonomie-Thesen. Was kann diese These? Wie kann sie uns helfen, einen Weg in eine lebenswerte Zukunft zu finden?

Als Bewohner*innen eines begrenzten Ökosystems sind alle Lebewesen den dort herrschenden Bedingungen ausgesetzt (Foto: Unsplash, Dylan Freedom)

Kritik am Wachstumsparadigma

Wachstum wird in den traditionellen kapitalistischen Theorien als notwendige Voraussetzung für Aufrechterhaltung beziehungsweise Wachsen des Wohlstands betrachtet. Diese Auffassung erhält vermehrt Kritik, vor allem aus der jüngeren Generation. Denn die vielfältigen Krisen wie Klimanotstand, Artensterben und wachsende soziale Ungleichheit stehen im direkten Zusammenhang mit dem aktuellen Wirtschaftssystem. Dieses greift für seine finanziellen Erfolge auf rücksichtslose und zukunftsvergessene Ausbeutung von Menschen, Tieren und Natur zurück. Es orientiert sich beinahe ausschließlich an Profiten, nicht an Bedürfnissen lebender Bewohner*innen der Erde. Auch die Aufrechterhaltung einer lebenswerten Umwelt scheint völlig egal zu sein. Im Degrowth-Ansatz hingegen steckt eine Wirtschafts- und Gesellschaftsauffassung, die sich an den ökologischen Grundlagen unseres Planeten orientiert und diese erhalten will. Wohlstand ist in dieser Weltsicht keine rein finanziell definierbare Kategorie, vielmehr bildet das Wohlergehen aller das erklärte Ziel. Daraus ergeben sich weitere Konsequenzen:

Begrenzte Ressourcen

“Degrowth” zielt auf eine Verkleinerung der Wirtschaft und der darin verwickelten Finanzsysteme ab. Damit folgt man der Erkenntnis, dass die Menschheit bereits über ihre Ressourcen hinaus lebt und die ökologischen Systeme überbeansprucht sind. Angesichts der begrenzten Belastbarkeit von Ökosystemen und der Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen wird ein Rückgang des Wachstums als unvermeidlich angesehen. Dies lässt sich rein rechnerisch logisch nachvollziehen, denn Ressourcen auf einem endlichen Planeten sind irgendwann erschöpft.

Krisen, die durch menschliches Zutun entstehen, kommen zu Naturereignissen hinzu (Foto: Unsplash, Yoshi Ginsu)

Grundlagen der Algebra

Es erstaunt immer wieder, dass diese einleuchtende Logik sich für viele nicht erschließt. Wenn man nur eine Welt zur Verfügung hat, kann man nicht auf Dauer so leben, wirtschaften und konsumieren, als gäbe es endlose Reserven für alles. Einfach gesagt: Wenn der Kuchen gegessen ist, ist er weg. Verfechter des Degrowth-Ansatzes stellen auf Basis dieser Erkenntnis nicht die Frage ob, sondern wie man eine Veränderung herbeiführen kann. Man strebt eine strategische Wachstumsreduktion durch Rücknahme von Produktion und Konsum an. Dass der Wohlstand der Gesellschaft dadurch nicht sinkt, liegt daran, dass andere Prioritäten gesetzt werden. Ganz neue Perspektiven tun sich auf, wenn man von “Zeitwohlstand” oder von “Konvivialität” spricht, was die Qualität des gemeinsamen Lebens bezeichnet.

Utopische Vision?

Die Vision einer Degrowth-Gesellschaft umfasst eine Regionalisierung der Wirtschaft, eine gerechtere Verteilung von Einkommen und Ressourcen, eine Etablierung neuer demokratischer Institutionen. Dazu kommt das Bemühen, möglichst wenige Ressourcen zu verbrauchen, also das Prinzip “Suffizienz”. Dazu kommen soziale und technologische Innovationen, die ein kooperatives und sparsameres Leben fördern. In dieser Vision ergibt sich das Wohlbefinden aus zahlreichen konsumunabhängigen Aspekten. Wichtig sind die Schaffung von Räumen für soziale Interaktionen, mehr Zeit für Freund*innen und Familie, eine einfachere Lebensweise, Nachbarschaftshilfe, eine gerechtere Verteilung von Arbeit und weniger materieller Konsum.

Wüstenlandschaften vergrößern sich, Wasser wird immer knapper, wenn die Produktion so weitergeht wie bisher (Foto: Unsplash, Kanapathy Kumar)

Transformation ist gefragt!

Die Idee, diesen Wachstumsgedanken einmal zu hinterfragen, zieht interessante Überlegungen nach sich. Sie betreffen nicht nur materielle, sondern auch ideelle Werte. Weniger Konsum lässt jedoch nicht auf weniger Lebensqualität schließen. Es ist durchaus möglich, dass sich das Wohlbefinden der Menschen insgesamt erhöht, wenn als sinnlos empfundene Aufgaben, etwa in der Produktion von Massenware, ständiger Zeitdruck und Stress in der Arbeit reduziert werden. Als angenehm kann empfunden werden, sich auf das Wesentliche zu besinnen und sich von überflüssigem materiellen Gerümpel zu befreien.

Psychologische Hintergründe

Eine Studie in Japan aus dem Jahr 2022 kam zum Ergebnis, dass der Rückgang der wirtschaftlichen Standards nicht zu einer Verschlechterung des subjektiven Wohlbefindens führte. Ein weiteres Ergebnis war, dass die politische und öffentliche Durchführbarkeit von Degrowth höher sein könnte als erwartet. Interessant ist in dem Zusammenhang auch das Ergebnis einer kulturübergreifenden psychologischen Studie aus Harvard, die im Jahr 2010 untersuchte, wann Menschen im Umgang mit Geld Glückserlebnisse haben. Sie lieferte den ersten Beleg für eine mögliche psychologische Grunddisposition, die Menschen auf der ganzen Welt teilen: Sie ziehen einen emotionalen Nutzen daraus, ihre finanziellen Mittel einzusetzen, um anderen zu helfen.

Ziele

Gerechtere Verteilung von Einkommen, Vermeidung von Massenarbeitslosigkeit und Ungleichheit, die Förderung von ökologischer Vielfalt, demokratische und soziale Infrastruktur, an denen alle teilhaben können. “Grünes Wachstum”, also die Idee, dass eine Entkopplung von Wachstum und fortschreitender Ressourcenvernichtung und Umweltzerstörung machbar sei, betrachten Degrowth-Forscher*innen und Aktivist*innen als unrealistisch. In Wien hat sich etwa die Grätzelarbeit dem Degrowth-Ansatz verschrieben. Die Mitarbeiter*innen organisieren Informationsstände, etwa bei Straßenfesten, und stellen dort die übergreifende Frage: „Was sind die Bedürfnisse der Bewohner*Innen? Dazu können auch weitere Fragen kommen. Beispielsweise: Was sind für sie die Folgen der steigenden Lebenshaltungskosten?  Oder: Wie einfach ist es für sie menschen-, natur- und klimagerecht zu leben?“ Es gibt dazu viel Material und spannende Denkanstöße, weiterlesen und -hören empfiehlt sich!

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Ein Artikel von Susanne Karr
veröffentlicht am 19.03.2024
Als Philosophin und Journalistin beschäftige ich mich mit der Verbundenheit von menschlichen und nichtmenschlichen Lebewesen. Darum geht es auch in meinem Blog www.aureliapangolini.com
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