Die Rückkehr der Wölfe – Prof. Kurt Kotrschal im Interview
AW: In Österreich stehen fast 9 Millionen Menschen knapp 30 wildlebenden Wölfen gegenüber. Liest man die Boulevard-Schlagzeilen und Wortmeldungen vieler Politiker, könnte man meinen, dass diese wenigen Tiere trotz allem eine ernsthafte Gefahr für die Allgemeinheit darstellen. Hier scheint es um Stimmungen und Stimmungsmache zu gehen. Stehen Sie als Naturwissenschaftler bei so viel Irrationalität mit rationalen Argumenten da nicht manchmal vor verschlossenen Toren? Welche Strategie empfehlen Sie, um der Bevölkerung klarzumachen, dass der Wolf im Wald weit weniger gefährlich ist als im Blätterwald der Medien?
KK: Die einzige Möglichkeit scheint sachliche Aufklärung und auch ein gewisser Gewöhnungseffekt.
Wenn die Leute merken, dass nichts passiert, werden sie sich beruhigen. Allerdings wird die Angst gezielt geschürt, um möglichst Angst gegen den Wolf zu machen.
Prof. Kurt Kotrschal
AW: Oftmals wird von Wolfsgegnern ins Treffen geführt, dass Österreich keine Wildnis mehr hätte, und der Wolf in der Kulturlandschaft keinen Platz habe. Ihre Antwort darauf? In welchen Gegenden Österreichs sehen Sie Potential für Wolfsrudel?
KK: Die Zeit ist vorbei, da man Wildtiere in Reservate und unberührte Landschaften verbannen konnte. Österreich ist fast ausschließlich Kulturland und Wölfe haben damit kein Problem. Rudel können sich überall bilden, wo nicht allzu viel los ist und das ist ja nicht schlecht. Rudel verhindern den Zuzug weiterer Wölfe und sind in ihrem Verhalten berechenbarer als Durchzügler.
AW: Immer wieder kursiert auch die Forderung nach „wolfsfreien Zonen“. Wäre das bei Wölfen, wo Jungtiere auf der Suche nach neuen Revieren abwandern, überhaupt realistisch? Wäre da nicht automatisch jeder dieser disperser zum „Problemwolf“ stigmatisiert?
KK: Das ist weder biologisch sinnvoll, noch praktikabel und auch gesetzlich nicht gedeckt, wie Frau Minister Köstinger in einer Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage festgehalten hat.
AW: In vielen Ländern funktionieren Herdenschutzprogramme mit Hunden, Zäunen, Elektrozäunen oder Hirten. Was davon sollte in Österreich angewendet werden, um möglichst effizient Weidetiere zu schützen?
KK: Herdenschutz kann gut funktionieren, wenn er richtig gemacht wird. Je nach Landschaft und Gegebenheiten sind Elektrozäune ohne oder mit Hunden bis Herdenbildung mit Behirtung und Hunden sinnvoll.
AW: Gibt es eine bestimmte Herdenschutzhunderasse (Maremmano? Kangal?), die Sie als am besten geeignet halten? Was halten Sie von Eseln als Herdenschützern?
KK: Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass die Hunderasse nicht wichtig ist; entscheidend ist allerdings eine gute Sozialisierung auch mit Menschen, damit keine Unfälle mit Wanderern passieren. Esel können u.U. helfen, weil sie sich stellen und verteidigen, aber dazu gibt’s wenig Erfahrung. Zudem müssen sich die Esel ja mit den Schafen vertragen.
AW: Von Herdenschutzgegnern wird angeführt, dass Herdenschutzhunde sich zwar als Teil ihrer Schafs- oder Ziegenherde fühlen, Menschen (Wanderer z.B.) aber als Gefahr betrachten und somit attackieren könnten. Wie kann man solch einer Gefahrensituation vorbeugen?
KK: Durch gute Menschensozialisierung der Schutzhunde und auch durch rücksichtsvolles Verhalten der Wanderer, etwa großräumiges Ausweichen.
AW: In jüngster Zeit ist immer mehr von Vergrämung der Wölfe durch Gummigeschosse zu lesen. Zeigt das eine nachhaltig abschreckende Wirkung?
KK: Kaum, weil man dazu einen Wolf „in flagranti“ erwischen müsste. Elektrozäune sind effizienter als Herdenschutzmaßnahmen. Vergrämen kann allerdings sinnvoll sein, wenn etwa ein Jungwolf zu wenig Distanz zu Menschen zeigt.
AW: Sehen Sie eine reale Gefahr, dass der Wolf in Österreich ein zweites Mal ausgerottet wird, in dem Sinne, dass sich keine stabilen Populationen etablieren können?
KK: Die Gefahr besteht, das ist ja auch mit der „erloschenen“ Braunbärenpopulation geschehen.
Es scheint leider eine ziemlich hartnäckige Unkultur des „Schießen, Schaufelns und Schweigens“ zu geben.
Prof. Kurt Kotrschal
AW: Im „Standard“ haben Sie einen Satz geschrieben, der mir sehr gut gefiel: „In einer Welt auf der Kippe wird es entscheidend sein, die menschlichen Ansprüche wieder auf ein verträgliches Maß zurückzuführen; insofern ist der Wolf ein Symbol.“ Der Wolf als Synonym für unser eigenes Überleben, als Schrift an der Wand?
KK: Durchaus. Wenn wir es nicht schaffen, mit ein paar Rudel zu leben, welche Chance haben wir dann die drückenden ökologischen Probleme aus Lebensstil, Landwirtschaft, etc. zu lösen?
AW: Sie gelten in Österreich als der Experte in Sachen Wolf und leiten das Wolf Science Center in Ernstbrunn (NÖ). Sie warnen davor, den Wolf weder als den Bösen aus dem Märchen noch als Kuscheltier zu sehen. Worin liegt Ihre Faszination zu diesen Wildtieren? Was begeistert Sie an Canis lupus?
KK: Na ja, das mit dem Expertentum ist ein wenig Übertrieben; am von Friederike Range, Zsofia Viranyi und mir geleiteten Wolfsforschungszentrum betreiben wir Grundlagenforschung an gleichartig aufgezogenen Wölfen und Hunden. Um die Freilandwölfe kümmern sich eher die Kollegen vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde (FIWI), die aber eher zurückhaltend in der Öffentlichkeit argumentieren. Gemeinsame Grundlage für alle unsere Stellungnahmen ist übrigens der Wolfsmanagementplan von 2012. Faszinierend an Wölfen ist sicherlich, dass sie Tiere sind, die sozial so ähnlich ticken, wie wir selber. Das macht seit 40.000 Jahren ihre Faszination für Menschen aus, darum entstanden letztlich ja auch aus Wölfen Hunde.
Das Interview führte Mag. Alexander Willer
Veranstaltungstipp:
Weiterführende Links:
- Wolf Science Center: www.wolfscience.at
- „Wolfsmanagement in Österreich: Grundlagen und Empfehlungen“, Georg Rauer/KOST (Dez. 2012)
- „Herdenschutz: Information für Nutztierhalter“, European Wilderness Society
- Buchtipp: „Die Weisheit der Wölfe“, Elli Radinger
4 Kommentare
Gerne! Aufklärung ist das Um und Auf beim Wolfsschutz.
Was die HundehalterInnen angeht: Viele halten sich an die Regeln, einige leider nicht. Auch hier heißt das Zauberwort: Aufklärung.
Und genau dieser Wolfsexperte präsentiert uns Bilder beim Kuscheln und Schmusen mit einem Wolf.
Die Wölfe auf den Fotos sind Gehegewölfe aus dem WSC in Ernstbrunn. Diese Wölfe wurden von Prof. Kotrschal und Team seit frühem Welpenalter aufgezogen und an Menschen gewöhnt, ergo das „Kuscheln & Schmusen“.
Die Bilder sollen zeigen, dass Wölfe nicht die bösartigen Bestien sind, als die sie von manchen Interessensgruppen dargestellt werden.
Sie sollen aber nicht vermitteln, dass wildlebende Wölfe Kuscheltiere sind. Das ist wohl für jeden vernünftig denkenden Menschen selbstredend. Wildlebende Wölfe soll der Mensch am besten in Ruhe lassen und sie als das betrachten und achten, was sie sind: WILDTIERE – nicht mehr und nicht weniger.
Herzlichen Dank für diesen Beitrag. Es ist höchste Zeit, um die Menschen aufzuklären und sie zu beruhigen. Domestizierte Hunde – und schlimmer noch – die Hundehalter/innen selbst sind weitaus gefährlicher als es ein scheuer Wolf sein könnte.