Männlich, vegan und „pflanzenstark“
Ein Feuerwehrmann aus Texas? Im Kopf laufen da sofort Assoziationen von einem Steak verschlingenden Fleischjunkie ab. Völlig falsch gedacht. Rip Esselstyn ist überzeugter Veganer, nicht zuletzt weil ihm die Geschichte seines Kollegen Nick aus Colorado wortwörtlich sehr ans Herz ging. Dieser Mann, ein nach außen topfit wirkender 42-jähriger Firefighter, spürte plötzlich starke Schmerzen in der Brust, dann Herzstillstand. Nur durch das rasche Handeln seiner Kumpels und des Ärzteteams überlebte Nick. Seine fleischlastige Ernährung war ursächlich für die koronare Erkrankung. Jetzt ernährt sich Nick „pflanzenstark“ – mit gesundheitlichem Erfolg.
Plant-strong: Die Welt ist ein Füllhorn voller pflanzlicher Kostbarkeiten
In Teil I Von „Stärker als Fleisch“ zählt Esselstyn in 35 kurzen Kapiteln in verständlicher Sprache „pflanzenstarke Fakten“ auf. Um nur ein paar Kapitel anzuführen.
- Pflanzen enthalten reichlich Protein
- Vitamin B12: Kein Problem!
- Pflanzen enthalten reichlich Eisen
- Pflanzen bringen starke Knochen
- Pflanzen verbessern das Liebesleben (von Mann UND Frau)
- Öl ist das neue Wunderelixier
- Pflanzen sind umweltfreundlich
- Schluss mit idiotischen Diäten
- Tiere essen ist nicht nett
Waren unsere Vorfahren Fleischesser?
Oft wird seitens von FleischesserInnen argumentiert: Fleisch essen ist natürlich und gesund. Schon unsere Ahnen in der Steinzeit taten es. Warum sollten wir es also nicht tun? In den Kapiteln „Menschen sind Pflanzenfresser“ „Warum Ihr Verdauungssystem auf Pflanzen steht“ und „Verlangen nach Fleisch ist nichts Natürliches“ geht Esselstyn darauf ein. Ja, einige unserer Homo-sapiens-Vorfahren gingen auf die Jagd und verzehrten Fleisch. Den Naturzustand unserer Spezies beschreibt dieses Verhalten allerdings nicht. Es war vielmehr eine Ausnahmesituation, zu der die Frühmenschen gezwungen waren: aufgrund von Kälte, Dürre oder anderer Widrigkeiten. Opportunismus zum puren Überleben. Gesund lebten diese frühen Jägerkulturen nicht.
Die menschliche Anatomie sagt Ja zu Pflanzen
- Der menschliche Kiefer besteht aus gut entwickelten Lippen, einer starken Muskulatur, spatenförmigen Schneidezähnen und abgeflachten Backenzähnen – alles bestens geeignet zum Zermahlen und Zerkauen pflanzlicher Nahrung. Wir müssen im Unterschied zu den Carnivoren keine Knochen knacken oder Fleisch zerreißen. Ergo verfügen wir auch über keine spitzen Schneide- oder verlängerten Reißzähne.
- Unser Speichel ist voll des Enzyms Alpha-Amylase, das dabei hilft, komplexe Kohlehydrate zu verdauen. Carnivoren fehlt dieses Enzym, da Fleisch keine Kohlehydrate enthält. Dafür bauen ihre Lebern schädliches Cholesterin fast gänzlich ab, was unsere nicht können.
- Der menschliche Verdauungstrakt ist lang und stark gefaltet (Darm). Unser Körper hat Zeit, das Essen aufzuspalten und daraus Nährstoffe zu absorbieren. Der Magen des Menschen hat ein nur mäßig saures Milieu. Ganz im Gegensatz zu den fleischessenden Tieren, die hochgradig säurehaltige Magensäfte produzieren, um Muskel- und Knochenmaterial aufzulösen bzw. um Bakterien im verrottenden Fleisch abzutöten, die das Tier sonst selbst töten könnten. Der Verdauungstrakt der Carnivoren ist kurz und gerade, damit nichts im Körper verfault und rasch ausgeschieden wird. Man sieht die gravierenden Unterschiede und kann sich ausmalen, wie eine stark fleischlastige Ernährung den menschlichen Organismus überfordert und langzeitig schädigt.
Autopsien an Inuit, die sich ja fast ausschließlich von Fleisch ernähren, belegen die Schädlichkeit, Raubtieressgewohnheiten zu übernehmen, schreibt Esselstyn. Ihre Arterien waren durch Plaque verstopft, die Cholesterinwerte viel zu hoch, die Knochen spröde. Ähnlich erschreckende Befunde fanden sich bei den ostafrikanischen Massai, deren einseitige Fleischnahrung Herzkrankheiten auslöst.
Fazit: Fleisch ist weder a) natürlich (und damit auch nicht männlich) noch b) gesund!
Fleischkonsum stellt vielmehr einen in äußersten Notzeiten entstandenen Ausnahmefall dar, der in der modernen Überflussgesellschaft übernommen und zum Regelfall gemacht wurde.
Leichenschauhaus oder Garten?
Diese Frage springt einem immer dann entgegen, wenn der Kühlschrank geöffnet wird. Jede/r hat die Wahl, selbst zu bestimmen, wie das Innere dieses Geräts aussehen soll. Liegen mit Lebensmittelfarbe versetzte, tiefgekühlte Körperteile drinnen; von Tieren, die einst gelebt und geatmet, gefühlt und gehofft hatten wie wir? Oder aber zeigt sich eine pflanzliche, farbenfrohe Palette aus Grün, Rot, Gelb, Orange, Violett?
In Teil II macht Rip Esselstyn – Gusto anregend bebildert – dem Auge 230 Seiten lang Rezepte schmackhaft. Beilagen und Vorspeisen, Salate, Suppen, Dressings/Dips, Pasta-Kreationen, Hummus und Aufstriche, Sandwiches, Tacos, Burritos, Desserts und mehr.
Ich habe pars pro toto zwei Kreationen herausgenommen, die mich optisch ansprachen und die ich selbst nach Esselstyns Rezepten – leicht abgewandelt – zubereitete.
Armadillo-Süßkartoffeln
Was brauche ich?
- 1-2 Süßkartoffeln
- Knoblauchzehe
- Kräuter (Oregano, Rosmarin oder Thymian)
- veganes Pesto
- Currysauce
Zubereitung:
Süßkartoffel quer einschneiden (nicht bis zum Boden, nur zu zwei Drittel), Knoblauchscheibchen in die Schlitze geben, je nach Geschmack auch Kräuter. Das Ganze mit Aluminiumfolie abdecken und 45 Minuten im auf 200° C vorgeheizten Ofen backen. Mit Pesto und Currysauce servieren. Darübergelegte Petersilie verfeinert den gustatorischen wie visuellen Wert. Das Gericht erinnert optisch an den Rückenpanzer von Gürteltieren, daher der Name Armadillo.
Machu Picchu
Was brauche ich?
- 150g Quinoa (Farbe egal)
- 1 Handvoll Himbeeren (oder andere Beeren Ihrer Wahl)
- 1 Teelöffel Erdnuss-, Mandel-, oder Nussbutter
Zubereitung:
Quinoa wie auf der Packung angegeben zubereiten (normalerweise ein Teil Quinoa auf zwei Teile Wasser). Die warme oder kalte Quinoa in eine Schale löffeln, Nussbutter Ihrer Wahl einrühren, Beeren darüber geben. Fertig.
Quinoa ist reich an Proteinen, B-Vitaminen, Mineralstoffen und glutenfrei. Die Pflanze hat ihre Ursprünge in der Region um den Titicacasee. Obwohl sie botanisch gesehen kein Grasgewächs, sondern mit Amaranth und Spinat verwandt ist, wird sie als „Getreide der Inka“ bezeichnet. Daher auch der Name nach der hoch in den Anden gelegenen archäologischen Stätte Machu Picchu. Wohl gemerkt: Nicht „Macho“ Picchu. Kein Mann macht sich die Hände schmutzig, wenn er dieses Dessert zubereitet.
Fazit
Rip Esselstyn liefert mit „Stärker als Fleisch“ einerseits plausible, wissenschaftlich untermauerte Argumente, warum Fleischkonsum zu schweren körperlichen Erkrankungen führen kann, andererseits bietet er Alternativen auf pflanzlicher Basis an. Der Umstieg wird FleischesserInnen so erleichtert. Und als Leistungssportler und Ex-Feuerwehrmann, der auf seinen Körper achtet, zeigt er uns Männern, dass Veganismus durchaus eine sehr maskuline Sache sein kann.
Außerdem: Echte Männer haben ein Herz für Tiere, und das hat man nur, wenn man sie nicht isst.
Stärker als Fleisch
Wie ein Feuerwehrmann aus Texas den Fleischhunger mit einer pflanzenstarken Ernährung löschte
Rip Esselstyn
Unimedica 2017
402 Seiten
29,80 €
ISBN: 978-3-946566-61-8
- Website von Rip Esselstyn