Was es heißt, Verantwortung zu übernehmen – auch im Umgang mit Tieren


Mit Verantwortung verknüpft, kommt auch das Thema Schuld in die Debatte (Foto: Pexels, Aronvisuals)
Moral gilt heute oft als ein veraltetes Konzept, das in einer Gesellschaft, die den ungebremsten Ausdruck individueller Freiheit fördert, nichts zu suchen hat. Moralisch oder ethische Überlegungen werden als Einschränkung und Bevormundung missverstanden. Während egoistische und oft kindlich wirkende Impulse als legitimer Ausdruck der freien Meinungsäußerung betrachtet werden, verlieren wahre Kommunikation und damit auch Verbindlichkeit an Bedeutung. Ohne Verbindlichkeit wird die Zuverlässigkeit des Gesagten zunehmend fraglich – was gestern noch als wichtig verkündet wurde, ist heute schon wieder vergessen. Dies lässt sich sowohl in der Politik beobachten, als auch im privaten Bereich, der die politischen Verhältnisse immer widerspiegelt, wo immer mehr Menschen versuchen, sich von Verantwortung zu distanzieren.
Wir können uns der Wirkung unseres eigenen Handelns aber nicht entziehen – auch wenn viele das gerne möchten. Sie sagen dann, dass sie keinen Einfluss haben. Weil das Handeln einer einzelnen Person ohnehin keinen Einfluss hat. Nichtsdestotrotz bleibt Verantwortung bestehen. Wie wir mit anderen Lebewesen umgehen, ist unsere Verantwortung. Darauf hinzuweisen, stößt oft auf Widerstand und sogar Aggression – als ob manche in ihrer „Blase“ der Verantwortungslosigkeit bleiben wollen. Denn mit Verantwortung verknüpft, kommt auch das Thema Schuld in die Debatte.

Ein Beispiel für die emotionale Bindung zwischen Menschen und Tieren, die auf Verantwortung, Mitgefühl und gegenseitigem Vertrauen basiert (Pexels, Mujib Bugti)
Der Umgang mit Tieren
Aktivist*innen im Bereich der Tierrechte betonen oft, das Erzeugen von Schuldgefühlen sei nicht produktiv. Die Ausklammerung der Schuldfrage jedoch verhindert jede Auseinandersetzung mit moralischem Bewusstsein. Denn Schuld und Scham können als aktivierende Kräfte wirken, die uns dazu anregen, unser Verhalten zu hinterfragen und Verantwortung zu übernehmen. Und sie sind durchaus zumutbar, da sie uns helfen, ein tieferes moralisches Bewusstsein zu entwickeln.
Besonders im Zusammenhang mit Tieren wird eine Diskussion über Schuld und Scham häufig ausgeblendet. Wenn es um die Frage geht, ob wir Tiere essen, einsperren oder misshandeln dürfen, wird diese Debatte oft mit der Aussage vom Tisch gewischt, es handele sich um eine subjektive Entscheidung. Doch diese Einstellung blendet die Verantwortung aus, die wir als Menschen gegenüber den Tieren tragen. Wir können nicht einfach behaupten, dass es eine persönliche Wahl ist, Tiere so zu behandeln, wie wir es für richtig halten, ohne dabei die tiefere moralische Frage zu stellen: Ist es gerechtfertigt, einem fühlenden Wesen unnötiges Leid zuzufügen, nur um eigene Bedürfnisse zu befriedigen? Diese Verantwortung und die damit verbundene Schuldfrage werden häufig ausgeklammert, als ob die Behandlung von Tieren ohne ethische Konsequenzen möglich wäre.
Erwachsen und verantwortlich
Wenn wir erwachsen werden, müssen wir Verantwortung übernehmen. Ein grundlegender Bestandteil des Erwachsenseins ist es, Verantwortung zu tragen, die Auswirkungen unseres Handelns zu erkennen und dafür einzustehen. Das Wegwischen von Verantwortung im Kontext des Tierkonsums – die Vorstellung, dass der Verzehr von Tieren eine rein persönliche Entscheidung sei – ähnelt dem geistigen Entwicklungsstand eines Kleinkindes. Ein Kleinkind ist sich der Auswirkungen seines Handelns noch nicht bewusst und versteht nicht, wie sein Verhalten andere beeinflusst. Wenn Erwachsene jedoch Verantwortung ablehnen und sich nicht mit den Konsequenzen ihres Konsums von Tieren auseinandersetzen, verhalten sie sich ähnlich wie ein Kind, das die Verantwortung für seine Taten nicht erkennt oder akzeptiert.
Wie erwähnt, gilt Moral in solchen Diskussionen oft als „altmodisch“, als sei es nicht mehr zeitgemäß, ethische Fragen zu stellen und Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Doch diese Haltung verkennt, dass Moral nichts von ihrer Relevanz verloren hat – gerade in einer Zeit, in der wir uns zunehmend mit den Folgen unseres Handelns auf die Umwelt und andere Lebewesen auseinandersetzen müssen. Es stimmt, Moral ist anspruchsvoll und adressiert uns als mündige Wesen. Sie fordert uns oft dazu auf, Verantwortung für unser Tun und also auch das Wohl anderer zu übernehmen. Wenn wir zum Beispiel wissen, dass unser Handeln anderen schadet, verlangt die Moral von uns, dass wir Verantwortung übernehmen, das Verhalten ändern und die Schäden wiedergutmachen. Moralische Verantwortung geht über den eigenen Vorteil hinaus und berücksichtigt die Auswirkungen auf andere.

Wenn Erwachsene Verantwortung ablehnen und sich nicht mit den Konsequenzen ihres Konsums von Tieren auseinandersetzen, verhalten sie sich ähnlich wie ein Kind, das die Verantwortung für seine Taten nicht erkennt oder akzeptiert (Foto: Pexels, George Chambers)
Weitblick, moralische Reflexion und Selbstbestimmung
Ein wenig mehr Weitblick ist hier gefragt. In einem philosophischen Verständnis werden Schuld und Scham seit jeher als wichtige moralische Kräfte gesehen, die Veränderungen anregen können. Sie motivieren dazu, das eigene Verhalten zu ändern und Schaden wieder gutzumachen. Die finnische Philosophin Elisa Aaltola unterscheidet zwischen Schuld, die sich auf individuelle Handlungen bezieht und intern verarbeitet wird, und Scham, die vor allem durch die Wahrnehmung und Beurteilung durch andere geprägt ist.
Aaltola beschreibt in ihren Gedanken zur „morally constructive shame“ (moralisch konstruktiver Scham): „Während Schuld die Kraft hat, eine bestimmte Überzeugung, einen Wert oder ein Verhalten zu verändern, kann Scham tiefere, systemische Veränderungen in den gesamten Glaubenssystemen, Werten und Handlungen bewirken.“ Scham setzt dort an, wo wir uns selbst sehen und mit unseren inneren Werten in Einklang leben wollen. Die Philosophin regt uns zu Fragen an wie: „Warum definiere ich mich auf diese Weise? Wie beeinflusst das mein Verhalten gegenüber anderen? Wie könnte ich mich anders definieren, um respektvoller mit anderen Lebewesen und der Natur umzugehen?“
Echte Selbstbestimmung entsteht nur, wenn wir unsere eigenen Werte verstehen und sie mit unserem Handeln abgleichen. Dabei wird eine weitere Dimension deutlich: die Frage, woher diese Werte kommen. Sind sie lediglich gesellschaftliche Normen, die wir übernommen haben? Oder gibt es eine eigenständige Reflexion darüber, nach welchen Überzeugungen wir leben möchten?
Verantwortung und die Suche nach Erfüllung
Ein Zugang zu den eigenen Gefühlen ist dabei unerlässlich. Selbstreflexion und das Bewusstsein für die eigenen Emotionen sind grundlegende Voraussetzungen, um Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen zu können. Weil wir ständig von Medienbotschaften und konsumorientierten Idealen beeinflusst werden, müssen wir uns erst einmal von diesen Einflüsterungen befreien. Wir müssen wir in der Lage sein, unsere eigenen Gefühle und Werte zu erkennen, um Entscheidungen bewusst und verantwortungsvoll treffen zu können. Das erfordert Wachsamkeit und die Erkenntnis, dass es notwendig ist, diese Einflüsse zu hinterfragen.
Eine hilfreiche Frage könnte sein: Wer erzählt uns was, für wen und warum? Wem dienen die Narrative von Erfolg, die in westlichen Gesellschaften propagiert werden? Was hat „Erfolg“ mit unseren eigenen Vorstellungen von einem erfüllten Leben zu tun? Erfolg wird oft als etwas Äußeres dargestellt – sichtbare materielle Güter oder finanzielle Macht. Erfüllung hingegen ist eine innere Qualität, die nur spürbar wird, wenn wir mit unserem inneren Selbst im Einklang leben.
Schuld und Scham begleiten die philosophische Diskussion schon seit jeher – von Platon über Immanuel Kant zu Friedrich Nietzsche, zu Martha Nussbaum und Elisa Aaltola. Sie spielen auch in der persönlichen Entwicklung eine Rolle, da sie uns Leitlinien geben. Wie verhalte ich mich so, dass ich zu meinen Handlungen stehen kann und die Konsequenzen akzeptiere? Möchte ich wirklich, dass ein Tier sein Leben verliert, nur weil ich einen Teil seines Körpers essen möchte? Möchte ich Verantwortung dafür übernehmen, dass Tiere unter Bedingungen leben, die keinerlei Bezug zu irgendeiner Art von „Lebensqualität“ haben?
Diese Fragen können unangenehme Gefühle hervorrufen. Als Gegenmittel zu den Versuchen der Werbemaschinerie, die Wahrheit zu zensieren und zu behübschen, können wir uns an Ingeborg Bachmann erinnern. Sie schrieb: „Die Wahrheit nämlich ist dem Menschen zumutbar.“ Selbstreflexion ohne Verzerrung ist entscheidend, um ehrlich zu uns selbst und der Welt gegenüber zu sein.