Anders satt – wie das geht
Innerer Widerspruch
Weitgehend Konsens ist inzwischen, dass die übermäßige Produktion und Konsumation von tierlichen Produkten der Umwelt schadet und den Klimawandel vorantreibt. Dennoch ändert sich kaum etwas. Die Frage stellt sich also, wie man einen Wandel voranbringen kann. Die individuelle Veränderung reicht hier nicht – wiewohl jede einzelne Entscheidung zu begrüßen ist, die in diese Richtung führt. Das geht aber nicht schnell genug, und die aktuelle Realität wird nicht nur von den individuellen Entscheidungen der Konsument*innen bestimmt. Zudem lässt sich beobachten, dass viele Menschen nicht ihren Überzeugungen gemäß agieren: „Wer die Situation richtig einschätzen will, muss auch zugeben, dass die allermeisten Verbraucher*innen in tiefen Widersprüchen leben. Sie konsumieren Tierprodukte, wenden sich aber mit Grausen ab, wenn sie Videoaufnahmen aus Mastanlagen oder Schlachthäusern sehen – denn zum ganz normalen Empfinden gehört, dass wir Tiere nicht leiden lassen wollen“, schreibt Friederike Schmitz. Zum Thema Tierethik und zur Frage, ob wir Tiere essen dürfen, hat die Philosophin bereits Bücher veröffentlicht. Auch diese in leicht zugänglicher Sprache und mit klaren Argumenten.
Es braucht politische Entscheidungen
Um nicht endlos auf die individuelle Verhaltensänderung warten zu müssen, hält sie eine staatliche Ernährungspolitik für sinnvoll, die sich an den Tatsachen und nicht der Wählerklientel festmacht. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen dürfen nicht ausgeblendet werden. Politische Entscheidungsträger*innen sind gefragt, endlich Schlussfolgerungen aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu ziehen, die seit Jahren vorliegen. Oft gibt es seitens der Politik Forderungen unter dem Namen „Tierwohl“, etwa weniger Tiere zu halten oder die Ställe minimal zu vergrößern. Das Problem bleibt aber, dass sie weiterhin gezüchtet werden, ihnen die Kinder weggenommen werden und sie nach einem kurzen Leben geschlachtet werden. Diese Lösungsversuche, im gleichen System minimale Verbesserungen zu erreichen, trägt zu wenig weit.
Friederike Schmitz verweist auf eine realpolitische Möglichkeit, die oft als „radikal“ bezeichnet wird. In ihrem Buch fordert sie ein politisches Organisieren des Ausstiegs aus der Tierindustrie. Damit dies geschehen kann, müssen sich möglichst viele Menschen politisch einmischen. Denn der Umgang mit anderen Lebewesen ist nicht nur eine ethische, sondern eben auch eine zutiefst politische Angelegenheit. Die Autorin stellt in ihrem Buch ein radikal-realistisches Transformationsprogramm vor. Als „radikal“ gilt man ja immer schnell, sobald man an den tierverbrauchenden Praktiken Kritik übt. „Realistisch“ sind die Forderungen jedoch in der Tat, wenn man sich darauf einigen kann, dass die Welt als solche für Menschen lebbar bleiben sollte.
Ausgangspunkt und Möglichkeiten
Im Buch und in Vorträgen wirft die Autorin, die als eine der profiliertesten Stimmen der deutschsprachigen Tierrechtsbewegung gilt, auch ein Schlaglicht auf die gravierenden Probleme, die durch die Tierindustrie entstehen. Es gäbe weniger chronische, schwere und viel weniger Zivilisationskrankheiten. Sie schreibt: „Gerade weil die Tierindustrie eine Schnittstelle so vieler Probleme und Krisen bildet, bringt ihr Ende Vorteile in vielen Bereichen. Wir können nicht nur große Mengen Klimagase einsparen, sondern dazu Artenvielfalt wiederherstellen, neuen Pandemien vorbeugen, gigantisches Tierleid beenden und auf frei werdenden Flächen aktiv Klimaschutz vertreiben.“
In den ersten Kapiteln geht sie auf die bestehende Problematik ein, um sich dann den Lösungsmöglichkeiten zuzuwenden. Dazu gehört außer dem Anspruch, seinen Überzeugungen gemäß zu leben, auf Ebene der Lebensmittelproduktion die stets wachsende Vielfalt pflanzlicher Alternativen. Mit dem Argument „Verzicht“ kann hier nicht mehr zugunsten tierischer Produkte gepunktet werden. Im Vorwort weist Ernährungswissenschaftler Niko Rittenau zudem darauf hin, „dass Menschen, (ebenso wie alle anderen Lebewesen) keine bestimmten Lebensmittel, sondern nur bestimmte Nährstoffe benötigen.“ Es geht also beispielsweise nicht um den Fisch, will man sich mit Omega 3 versorgen. Man kann sich, wie der Fisch, an marine Pilze und Mikroalgen halten. In verständlicher Sprache und mit unbezwingbarer Logik führt Friederike Schmitz‘ Buch vor Augen, wie es möglich ist, das Thema Ernährung ohne Tierindustrie konstruktiv anzugehen und für alle eine gute, lebenswerte Lösung zu finden.
Vernünftige Lösungen
Es gelingt der Autorin, die Maßnahmen praxisnah zu beschreiben. Beispielsweise in der Darstellung, wie viel positive Effekte die Verringerung der Anbauflächen für Futtermittel bringt. Wenn man diese Flächen renaturiert, Moore wieder vernässt und teilweise Landstriche aufforstet, entsteht ein riesiges Potenzial, Treibhausgase in Böden und Pflanzen einzulagern. Somit werden Emissionen effektiv verringert. Aus einer Megastudie der Oxforder Forscher Nemecek und Poore geht hervor, dass eine Umstellung auf vegane Ernährung insgesamt 28 % der Treibhausgasemissionen einsparen könnte.
Es wird klar, dass eine Umstellung auf andere Ernährungsweisen ein unwiderlegbares Gebot der Vernunft ist. Außerdem ist es eine Forderung der Gerechtigkeit. Denn nicht nur betrifft die Klimakatastrophe nicht alle gleichermaßen, sondern es geht bei Landverbrauch oft um Landraub. Das bestehende Szenario ist nicht nur ein Problem, sondern bietet große Chancen.
Besonders wichtig ist in der gesamten, gut verständlichen Argumentation der Autorin, die Vorteile einer Veränderung deutlich zu machen: was wir alle dadurch gewinnen. Nicht nur die Tiere, selbstverständlich, sondern auch die gesamte, global verstandene Gesellschaft.
Anders satt
Wie der Ausstieg aus der Tierindustrie gelingt
Friederike Schmitz
Ventil Verlag 2022
376 Seiten
22,00 €(D)
ISBN 978-3-95575-192-0
Friederike Schmitz ist promovierte Philosophin. Sie hat sich auf Tierethik spezialisiert und in den folgenden Jahren drei Bücher dazu veröffentlicht. Sie ist Autorin und Referentin mit folgenden Schwerpunkten:
- Ausstieg aus der Tierindustrie, Transformation von Landwirtschaft und Ernährung
- Ethik und Politik der Mensch-Tier-Beziehung
- Wissenschaftsreflexion und -kommunikation
- Logik und Argumentation.