Vegane Lebensweise versus traditionelle Ernährungskultur
Ein Bruch mit den Traditionen
Es dauert meist nicht lange, bis manche Anwesende am Tisch unruhig werden. Kaum wurde verkündet, dass die Vanillekipferln keine Butter und Ei, die Bolognese kein Fleisch und der Kaffee keine Kuhmilch enthält, gehen so manche Wogen hoch. Da kann alles dabei sein, von „schmeckt gar nicht so schlecht, wie ich dachte“ bis hin zu „ich hätte das nicht gegessen, wenn ich gewusst hätte, es ist vegan“. Kaum ändert man eine Kleinigkeit an einem Rezept, wird daraus ein Staatsakt, ein Verrat an Traditionen oder manche Person fühlt sich von vegan Lebenden sogar persönlich angegriffen. Und geht zum Gegenangriff über.
Meistens bleibt es bei einer kleinen Diskussion. Im besten Falle ist diese vernunftbasiert und ein weiterer Mensch überlegt sich danach klammheimlich, ob an den Argumenten gegen tierische Produkte vielleicht doch etwas dran sein könnte. Doch nicht immer geht es so glimpflich aus. Manche, die tierliche Produkte am Feiertag bei den Großeltern verschmähen, können sich anhören, wie undankbar und respektlos sie sind. Fleisch gehört in unseren Breitengraden häufig dazu, die vegane Lebensart wird in der Kultur des Fleischessens zu asozialem Verhalten erklärt. Doch es bleibt nicht beim familiären Rahmen, vegane Lebensart wird sogar von Regierungen tabuisiert. Wie bereits von uns berichtet, forciert zum Beispiel die Republik Ungarn ihre Fleischindustrie und will sie als wirtschaftlich tragende Säule etablieren. So wird man dann schnell zum politischen Nestbeschmutzer, wenn man sich nicht nach den staatlichen Vorgaben verhält. Man gilt als abweichlerisch, politisch verdächtig und hat womöglich persönliche Nachteile zu erleiden.
Bio schmeckt mir nicht
Die starke emotionale Reaktion ist nicht immer Ignoranz, sondern hängt mit der menschlichen Entwicklungsgeschichte zusammen. Proteinreiche fleischhaltige Ernährung hat in den menschlichen Anfängen einen wesentlichen Teil des Überlebens ausgemacht, es war rar und riskant zu beschaffen. Somit haben sich einige Tabus und Traditionen, Haltungen und Vorstellungen dazu entwickelt. Doch die Traditionen und Vorstellungen zum Fleischkonsum sind heute angesichts zahlreicher Alternativen nicht mehr argumentierbar. Millionenfaches Tierleid ist ein größeres Übel als kein Fleisch im Mund zu haben.
Rein rational ist die Ablehnung des Veganismus also nicht mehr haltbar. Dennoch wurde dem Autor dieser Zeilen einmal von der Verkäuferin in einer Bäckerei gesagt, dass sie statt biologischem Gebäck lieber konventionelle Produkte verzehrt, denn „Bio schmeckt mir nicht“. Auch die Aussage, dass man die Spaghetti Bolognese ohne Fleisch nicht gegessen hätte, erweist sich sogleich als irrational. Denn geschmeckt hat sie offenbar ja auch mit einem Ersatzprodukt.
Studien weisen nach, dass Menschen aus dem rechten oder dem gesellschaftlich konservativen Spektrum mehr Fleisch essen als andere. Von den Rechten ist zu hören, dem „kleinen Mann“ solle man die Errungenschaften industriellen, erschwinglichen Fleisches nicht schlecht machen. Und Männer essen sowieso mehr Fleisch als Frauen, nämlich fast doppelt so viel. Vielleicht versuchen noch immer viele Homo sapiens, Männlichkeit und körperliche Dominanz mittels Fleischkonsum zu suggerieren.
Verdrängen so gut es geht
Aber seien wir uns ehrlich: Es wird kaum eine Person, die Fleisch isst, die Lebensumstände und das industrielle Töten von Tieren gut finden und willkommen heißen. Trotzdem essen Menschen Fleisch. Dies ist in den meisten Fällen nur anhand eines psychologischen Verdrängungsmechanismus möglich. Werden sie mit der Schuld an den Qualen konfrontiert, gehen sie in die Gegenwehr. Dies geschieht, um einer inneren kognitiven Dissonanz auszuweichen. „Es schmeckt mir nun einmal“ und „Es gibt ja tolle Weidehaltung“, bekommt man dann zu hören. Innerlich sind viele erschüttert, können sich aber die eigene Schuld an den Grausamkeiten nicht eingestehen. Der Verzicht auf die kulturellen Traditionen ist oft ein größeres Übel als ein weit entferntes Tierleid. Die Industrialisierung der Lebensmittelindustrie trägt außerdem dazu bei, Distanz zwischen der Erzeugung und dem fertigen Produkt im Supermarkt herzustellen.
Wer kein Fleisch oder überhaupt keine tierischen Produkte konsumiert, eckt oft an. Ein veganes Missionierungsverhalten löst das Problem nicht, da beim Gegenüber schnell innere Gegenwehr aufgebaut wird. Das aktive Vorleben eines zufriedenen Alltags in Fülle, welches ohne Tierleid genauso gut möglich ist, ist wahrscheinlich das beste Argument. Und wenn selbst die Kronen Zeitung, bisher wahrlich keine Bastion des fleischlosen Lebens, durchaus positive Artikel über veganes Leben und den immer geringeren Fleischkonsum in Österreich veröffentlicht, ist vielleicht schon einiges am richtigen Weg.