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Koloniale Muster im unzähmbaren Hunger nach Fleisch und Profit

Achtung, dieser Post ist bereits aus dem Jahr 2021. Einige Informationen könnten veraltet sein.
Der weltweite Fleischkonsum ist in den letzten 20 Jahren auf mehr als das Doppelte angestiegen. 2018 lag er bei 320 Millionen Tonnen. Dieser Trend hängt einerseits mit dem Bevölkerungswachstum und andererseits mit dem gestiegenen Einkommen zusammen. Und trotz der alarmierenden Auswirkungen des Fleischkonsums wie Landgrabbing, Umweltverschmutzung und Gesundheitsschäden rechnet die Industrieländerorganisation OECD in den nächsten Jahren mit einem weiteren Anstieg von 13 Prozent. Die Hauptverantwortlichen sind dabei meist die Industrienationen. 2019 wurden in Deutschland fast 60 Kilogramm Fleisch pro Person gegessen, in den USA und Australien waren es mehr als 100 Kilogramm. Doch wer trägt die Kosten dafür? Und wie hoch sind diese Kosten?

Rund 26,7 Millionen Hektar Land haben sich Investoren seit dem Jahr 2000 weltweit für landwirtschaftliche Zwecke angeeignet – eine Fläche so groß wie das Vereinigte Königreich und Slowenien zusammen. (Foto: Pixabay, jestermaroc)

Die Antwort darauf zeigt sich unter anderem ein Film von Thomas Bauer. In „Der Fleisch gewordene Wahnsinn“ erzählen EinwohnerInnen aus Brasilien von den verheerenden Zuständen, die sich durch die egoistische und gewinnorientierte Haltung des Fleischmarkts ergibt.

„Wir wurden auf verschiedene Arten vertrieben. Die ersten wurden von den bewaffneten Milizen der Großgrundbesitzer vertrieben. Ich konnte mich dem widersetzen, den Pestiziden nicht.“

Eine Geschichte der Vertreibung

Seit den 60er-Jahren ist die ländliche Entwicklung Brasiliens von unserem Fleischkonsum geprägt. Das liegt vor allem daran, dass mit der  Modernisierung der Landwirtschaft der Anbau des wichtigsten Futtermittels – Soja – explodierte. Die stetige Verbreitung der Plantagen und der damit verbundene Ausbau großer Fernstraßen führt zur Vertreibung unzähliger Einheimischer. Darunter sind auch indigene Völker wie die Guarani-Kaiowa. GroßgrundbesitzerInnen entreißen ihnen gewaltsam ihr Land. Fordern sie dieses zurück, werden sie mit Vorwürfen der Landbesetzung konfrontiert. Lange Zeit lebten viele der Indigenen am Rande der Besitzflächen der GroßgrundbesitzerInnen eingesetzt, um weite Flächen ihrer ursprünglichen Heimat zu roden. Anschließend wurden sie dann vertrieben.

Somit gilt die Monokultur als Motor für Massenvertreibung indigener Völker aus ihren traditionellen Territorien. Und das Ganze folgt nur einem Ziel: Profitmaximierung der Agrokonzerne. Diese nutzen den Fleischhunger der Industrienationen und die mangelnde Grenzregelung indigener Territorien zu ihren Zwecken. Diese mangelnde Gerechtigkeit erinnert nicht umsonst an dden Kolonialismus. Auch da raubten die europäischen Industriemächte den Einheimischen ihre Ländereien, um anschließend auf deren Kosten mit Plantagen Geld herauszuschlagen. Auch ohne Sklaverei erkennt man hier sofort die Reproduktion kolonialer Muster. Westliche Bedürfnisse und Ansprüche stellen sich über die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Gerechtigkeit der Schwächeren. Unhinterfragt verfestigen sich dadurch ungleiche Machtverhältnisse. Die Bedürfnisse der Indigenen rücken in diesem vom Fleischkonsum gesteuerten Profitwahnsinn in den Hintergrund. Abseits der westlichen Bürokratie folgen sie nur einem Grundsatz: Nicht töten. Das gilt für Mensch, Natur und Wasser.

Abholzung im Teufelskreis

Von dieser friedlichen Grundhaltung der Indigenen wollen die großen Trader, die die Regionen immer mehr einnehmen, nichts wissen. Im Gegenteil, sie zerstören die Biodiversität und natürliche Ökosysteme, verschmutzen das Wasser, den Regen, die Luft und Nahrungsmittel und verseuchen ganze Regionen. Als ABCD bekannt, dominieren Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und die Louis Dreyfus Company den Im- und Export von Agrarrohstoffen. Ihr Hunger nach Land hat oberste Priorität, egal wer oder was sich ihnen in den Weg stellt.
Rindfleisch ist heute schon einer der Haupttreiber von Entwaldung und führt zur Zerstörung der Lebensgrundlage indigener und kleinbäuerlicher Gemeinden.

Brasilien gehört zu den drei größten Fleischexporteuren. Die Bevölkerung trägt allerdings nur die Kosten. (Foto: Fleischatlas 2021, Bartz/Stockmar, CC BY 4.0)

Im Amazonas grasen auf 63 Prozent aller entwaldeten Flächen Rinder. Zwischen 70 und 80 Prozent aller Rindfleischimporte in die EU kommen aus den Mercosur-Ländern. 50 Prozent der aus Brasilien in die EU gelieferten landwirtschaftlichen Produkte sind auf Abholzung zurückzuführen, vor allem Soja und Rindfleisch. Die Cerrados sind im Vergleich zum Regenwald relativ leicht rodbar und mechanisierbar und dementsprechend besonders bedroht. Die Zerstörung folgt dabei einem Teufelskreis indirekter Wirkungsverhältnisse: Die Rinderweide verlagert sich durch boomenden Sojaanbau immer stärker nach Norden. Das bedeutet, die Sojafront treibt die Rinderfront, was wiederum zur Weideexpansion in die Waldgebiete führt.

Pestizide als letzte Waffe

Schaffen die GroßgrundbesitzerInnen nicht, die Bevölkerung zu verbannen, dann sind es die Pestizide, die alles Leben aus den Landflächen vertreiben. Mit der Agrarreform haben viele indigene Gemeinschaften ein Stück Land zurückbekommen, wodurch jedoch Probleme mit Pestiziden immer mehr in den Vordergrund rückten. Mato Grosso, ein Bundesstaat Brasiliens, misst unter anderen den größten Einsatz von Pestiziden, chemischem Dünger, Agrarmaschinen und Flugzeugen.

Der unsachgemäße Umgang mit gefährlichen Substanzen fordert jährlich Tausende Opfer. Aber es sind bei weitem nicht nur Menschen betroffen. Zu den Folgen gehören die Kontaminierung des Wassers, der Umwelt und der Nahrung. Die Schuld wird auf Temperaturschwankungen, Luftfeuchtigkeit und Wind abgewälzt. Kontrollen fehlen vollständig. In ganz Brasilien werden Stoffe eingesetzt, die von der WHO als krebserregend eingestuft wurden und Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson fördern, unter anderem Glyphosat oder Herbizid 2,4-D. Darüber hinaus sind hier 27 Schädlingsbekämpfungsmittel in einem Liter Trinkasser erlaubt, in der EU nur 5. Die Glyphosat-Grenzwerte in Brasilien liegen bei 500 Mikrogramm im Gegensatz zu 0,5 Mikrogramm in der EU pro Liter Trinkasser.

Fleisch und Soja sind folglich sozial exkludierende Produkte; nur jene mit Kapital können vom Produktionssystem profitieren. Die Kleinbauern und die Bevölkerung in der Nähe der Plantagen werden zur Abwanderung gezwungen und müssen mit den Folgen wie Arbeitslosigkeit, Hunger und Armut leben. Es bleibt jedoch die kleine Hoffnung, dass das zunehmende Bewusstsein über die Hintergründe der Fleischindustrie und die damit verbundenen Auswirkungen sowohl auf Mensch als auch auf Umwelt die Überwachung des Pestizideinsatzes forciert. Als Weltgemeinschaft der KonsumentInnen liegt es in unserer Verantwortung, mit bewussten Konsumentscheidungen ein erstes Statement zu setzen und den Menschenrechtsverletzungen ein Ende zu bereiten.

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Ein Artikel von Denise
veröffentlicht am 11.05.2021
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