Sag mir, wo die Hörner sind… – Teil 2: Die Antwort der Landwirtschaft

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Achtung, dieser Post ist bereits aus dem Jahr 2016. Einige Informationen könnten veraltet sein.
In den letzten zwanzig Jahren hat sich der Trend des Enthornens bei horntragenden Tieren wie Rindern oder Ziegen auch im deutschsprachigen Raum weiter verstärkt, mittlerweile erfolgt diese Prozedur bereits bei mehr als 80% der Tiere! Ein Trend, der den Tieren Schmerzen und enorme Einschränkungen bereitet. Ein Stück Identität und Tradition unseres Landes werden damit ebenfalls zerstört. In Teil 1 haben wir unseren Fokus auf die Bedeutung der Hörner für das Sozialverhalten und das Wohlbefinden der Tiere gelegt. Im Mittelpunkt stand und steht weiterhin die klare Ablehnung des Zugangs, Menschen seien berechtigt, Tiere in ihrem Wohlbefinden einzuschränken und ihnen Leiden zuzufügen.

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Schmerzloses Enthornen?!

Die Wissenschaft hat sich damit beschäftigt, ob das Enthornen mit Betäubung jenem ohne Betäubung vorzuziehen ist und kam dabei zu dem wenig überraschenden Schluss: Das Nichtbetäuben bei diesem Vorgang bereitet den Tieren unzumutbare Schmerzen, ist klar tierschutzwidrig. (Und dennoch ist das Enthornen ohne Betäubung bei Kälbern auch in Österreich erlaubt! Bei Biobetrieben ist das Entfernen der Hörner auch zulässig, hier muss wenigstens eine Schmerzausschaltung erfolgen.)

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Kalb kurz nach der Enthornung

Es wurde also eine offensichtliche Selbstverständlichkeit wissenschaftlich erforscht und bestätigt. Ausgeblendet wurde dabei die Frage, welche ständige Beeinträchtigung und welche Schmerzen man den Tieren damit lebenslang zufügt.

Kuhschädel

Rinderschädel

Hörner sind die Verlängerung der Stirnhöhlen. Der knöcherne Hornzapfen befindet sich im Inneren der Hornscheide und ist für die Hornbildung verantwortlich. Er ist stark durchblutet, mit Nervenfasern durchzogen, von einer sensiblen Nervenhaut umgeben und deshalb sehr empfindlich. Daher sind Hörner auch stets warm. Sie sind – anders als beispielsweise menschliche Fingernägel, die man einfach wegknipsen kann – lebendes Material und wesentliche Körperteile der Rinder.

Beim Enthornen, meist mittels Brennstab, werden Blut- und Nervenbahnen abgetrennt und verödet, sodass das Horn nicht mehr nachwachsen kann. Der Schädel schließt sich mit der Zeit wieder und bekommt eine unnatürlich spitze Form. Wenn man schon einen Vergleich wagen will, dann würde das Enthornen keinesfalls dem Nägelschneiden sondern vielmehr der Zerstörung des gesamten Nagelbettes näher kommen! Wissenschaftliche Studien über Folgeschmerzen, wie „Phantomschmerzen“, Kopfschmerzen durch die Schädelverformung etc., sind nicht bekannt.

Teuer erkaufte „Freiheit“

Der Trend des Enthornens ging mit der Umstellung von Anbindehaltung auf Laufställe einher. Das Argument für Laufställe ist, dass die Tiere bei diesen Haltesystemen ihre natürlichen Bedürfnisse wesentlich besser ausleben können – der Laufstall wäre daher aus diesem Aspekt deutlich tierfreundlicher als der Anbindestall. Allerdings bezahlen die meisten der Tiere diese größere Bewegungsfreiheit mit dem Verlust ihrer Hörner und allen damit verbundenen negativen Folgen.

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Laufstallhaltung enthornter Kühe, Futterbereich

Grund für diese kritische Entwicklung ist, dass die gesetzlichen Mindestmaße für Laufställe nicht auf horntragende Tiere und ihren notwendigen Bewegungsradius ausgerichtet sind. (Bei näherer Betrachtung wohl auch nicht für ein stressfreies Zusammenleben unbehornter Tiere, die sich in Ermangelung ihrer Hörner durch Puffen und Rempeln ihren Platz und Rang schaffen.)

Ein nicht tiergerechtes Haltesystem wurde also durch ein anderes nicht tiergerechtes Haltesystem abgelöst! Die Haltungsbedingungen werden nicht den Bedürfnissen der Tiere angeglichen, sondern die Tiere werden auf die zu engen Standards zurechtgeschnitten!

Unfälle

Hörner werden von den Rindern nur in den seltensten Fällen als Abwehrwaffe eingesetzt. Haben die Tiere keine Fluchtmöglichkeit, setzen sie eher die Hufe oder ihre Körpermasse zur Verteidigung ein. In einer sozial funktionierenden Gruppenstruktur lösen sie ihre Konflikte durch bloßes Drohen und Weichen, durch Kommunikation und Deeskalation, indem der Abstand zu möglichen KontrahentInnen vergrößert wird.

In Anbindehaltung können die Hörner eine Gefahr für den Menschen bedeuten, wenn er beim An- und Losbinden ganz nahe neben Kopf steht. Unfälle passierten hierbei vor allem, wenn die Kuh eine schreckhafte Bewegung machte oder eine Fliege verscheuchen wollte.

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Im Laufstall können die Hörner vor allem für die Tiere untereinander gefährlich sein. Es kann zu Hautabschürfungen oder Schrammen kommen, in schlimmen Fällen aber auch zu schweren Verletzungen am Euter, im Geniatalbereich oder an anderen Körperpartien. Diese Unfälle und Verletzungen sind aber nahezu immer auf Problembereiche im Stall oder Management bzw. Versehen oder Unachtsamkeit zurückzuführen.

Umfassende Statistiken über Hornunfälle bei Mensch und Tier und die Entwicklung der letzten Jahrzehnte sind kaum verfügbar. Zu den häufigsten Ursachen für Verletzungen beim Menschen zählen das Ausschlagen, gefolgt von Einklemmen und Umrennen, sowie Stürze beim Umgang mit den Tieren. Hornstoß rangiert relativ weit hinten – eine statistische Zeitschiene bzw. Analysen, ob das mit der zunehmenden Enthornung in Zusammenhang steht, sind nicht bekannt. Übereinstimmende Aussagen sind allerdings dazu zu finden, dass ein verständnisvoller Umgang mit den Tieren, das Beobachten und Erkennen des natürlichen Verhaltens der Rinder die zentrale Rolle in der Unfallvermeidung spielen.

Angeborene / gezüchtete Hornlosigkeit?

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Angusrind

Es gibt einige angeboren hornlose Rinderrassen, wie etwa das Angusrind. Generell haben sich hornlose Tiere im Laufe der Evolution nicht durchgesetzt – das Horn hat ganz offensichtlich eine zentrale Bedeutung für die Biologie und das soziale Gefüge der Rinder.

Offenbar um den Tieren den Schmerz und sich die Prozedur des Enthornens zu ersparen, verstärkt sich nun der Trend, auf Hornlosigkeit zu züchten. Damit können zwar möglicherweise der Schmerz und das Leiden der Tiere vermieden werden, dennoch sind für sie all jene sozialen und Wohlfühlqualitäten, für die sie Hörner benötigen, verloren.

Das etwa 400seitige Gutachten „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“ des wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik des deutschen Bundesministeriums spricht hinsichtlich Zuchttrends, die dazu dienen, Tiere an Haltungssysteme anzupassen, eine sehr klare Sprache, sodass es hier auszugsweise zitiert sei:

„Ein zentrales biozentrisches Konzept ist das der Integrität. Dieses bezieht sich zum einen auf die körperliche Unversehrheit, zum anderen auf die Möglichkeit des Tieres, sich artgemäß zu verhalten. So kann die Integrität durch Amputationen, züchterische oder medikamentöse Einwirkungen verletzt werden [……]. Unter diesem Aspekt wird beispielsweise über Züchtungsziele diskutiert, mit denen bestimmte problematische Verhaltungsreaktionen auf überfordernde Haltungsbedingungen […] beseitigt oder minimiert werden sollen, die aber gleichzeitg Einschränkungen der Fähigkeiten der Tiere bedeuten. Ein klassisches und extremes Beispiel ist die Zucht blinder Hühner, die ein signifikant vollständigeres Gefieder aufweisen, da weniger Federpiken auftritt (Ali&Cheng, 1985).“

Kuh mit Horn – Chancen für ein tiergerechtes und gesundes Miteinander

Es gibt erfreulicherweise zahlreiche Beispiele aus der Praxis und Initiativen, die zeigen, dass das Modell behornter Tiere im Laufstall funktioniert und sowohl ökonomisch als auch ökologisch Sinn macht. Der Erfolg hängt von verschiedenen Einflussfaktoren ab. Zentrale Voraussetzung sind eine intensive Tier-Menschbeziehung, gute Kenntnisse des Tierverhaltens und der körpersprachlichen Signale und ständiges Beobachten. Darüber hinaus spielen die Größe und Ausgestaltung des Laufstalls eine große Rolle sowie das gesamte Herdenmangament, das auf die Vermeidung unterschiedlichster Stressfaktoren abzielt, wie oftmaliger Wechsel der Bezugspersonen oder der Gruppenzusammensetzung.

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Laufstallhaltung behornter Kühe, Futterbereich

Enthornen – ein Indikator für unseren derzeitgen Umgang mit (landwirtschaftlichen) Tieren

Wie oben erwähnt, ist Enthornen auch in Österreich selbst in der Biolandwirtschaft erlaubt und leider auch mittlerweile durchaus üblich. Selbst auf den österreichischen Almen muss man behornte Rinder mittlerweile suchen. Nur wenige Verbände wie Demeter, KAG Freiland („Hornauf“), Neuland sowie einige kleine Initiativen im deutschsprachigen Raum distanzieren sich klar davon.

Doch in der konventionellen Tierhaltung ist noch wesentlich mehr zulässig, was einer Tiergerechtigkeit klar widerspricht, wie das Kürzen der Schwänze bei Schweinen, die Eberkastration ohne Schmerzausschaltung, die Kastenstandhaltung von Sauen, die es den Tieren nicht einmal ermöglicht, sich umzudrehen, die Bodenhaltung von Hühnern, das systematische Töten von männlichen Küken, um nur einige Beispiele zu nennen. Weidegang ist selbst bei Rindern nicht vorgesehen!

Schöne Werbebilder und Wortkreationen wie „Bauernhofgarantie“, „vom Bauernladen“, „Alpenrind“ (der Name eines großen konventionellen Schlachthofes…) oder „direkt aus Österreich“ gaukeln eine heile Welt vor, die mit der Realität auch in Österreich nichts mehr zu tun hat.

Es liegt daher an allen – KonsumentInnen, dem Lebensmittelhandel, den TierhalterInnen/ProduzentInnen – diese unethische, unwürdige und ungesunde Entwicklung zu stoppen. Dazu gehört, sich selbst immer wieder zu fragen: „Was kann ich für mich mit gutem Gewissen vertreten, was bin ich bereit, zu einem fairem Umgang mit anderen Lebewesen beizutragen?“ und danach das eigene tägliche Verhalten – beruflich und privat – auszurichten!

„Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie ihre Tiere behandeln.“
(Mahatma Gandhi)


Quellen

 

Ing. Dr. Karin Büchl-Krammerstätter

© Ing. Dr. Karin Büchl-Krammerstätter

Ingenieurin der technischen Chemie und Juristin. Sie ist seit mehr als 20 Jahren in leitender Funktion im Umweltbereich tätig, davon acht Jahre lang als erste Umweltanwältin von Wien. Seit 2013 ist sie Ehren-Senatorin an der Universität für Bodenkultur Wien, wo sie von 2003 bis 2013 dem Universitätsrat angehörte. Sowohl beruflich als auch privat setzt sich Karin Büchl-Krammerstätter für den respektvollen Umgang mit anderen Lebewesen ein. Sie ist Gründerin des Vereins „Born mit Horn“ (www.bornmithorn.at)

 

Hinweis:

Am 8. November 2016, 18.00 Uhr, findet im RadioKulturhaus eine öffentliche Diskussionsveranstaltung unter Moderation von Johannes Kaup/Ö1 zum Thema „gefördertes Tierleid“ statt. Derzeit werden noch immer österreichische Gelder dazu verwendet, in Nicht-EU Staaten Massentierhaltungsbetriebe zu fördern, die weit unter den österreichischen und EU-Standards liegen! Damit werden nicht nur ökologisch und tierethisch absolut abzulehnende Unternehmen unterstützt sondern auch der heimische Markt konkurrenziert! Nach Impulsreferaten durch Nicolas Entrup, dem international anerkannten Tierschutzcampaigner und Josef Plank, dem Präsidenten der österreichischen Landwirtschaftskammer, folgt eine Podiumsdiskussion zu den unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten – und Notwendigkeiten von Banken, der Politik, der Interessensvertretungen, der öffentlichen Hand und der privaten KonsumentInnen.

Am 9. November 2016 folgt eine Fachtagung „Vom Beisl bis zum Haubenlokal – Tierwohlstandards bei Gastronomie, Hotellerie und Gemeinschaftsverpflegungen“ im Impact Hub Vienna, 1070 Wien, Lindengasse 56, Beginn: 10.00 Uhr.

Beide Veranstaltungen werden von der Initiative „Gutes Gewissen – Guter Geschmack“ der Stadt Wien organisiert. Mehr zur Fachtagung unter http://www.amv.wien.at/?k=g45jgt, zur Diskussionsveranstaltung unter http://www.amv.wien.at/?k=6hz5zp.

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Ein Artikel von der Ethik.Guide-Redaktion
veröffentlicht am 21.09.2016
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