Sag mir, wo die Hörner sind… – Teil 1: Von der Bedeutung des Horns

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Achtung, dieser Post ist bereits aus dem Jahr 2016. Einige Informationen könnten veraltet sein.

Früher waren behornte Rinder auf Weiden eine Selbstverständlichkeit, gehörten zur Identität vieler Landschaftszüge in Österreich, Deutschland und der Schweiz. In den letzten zwanzig Jahren ist dieses Bild immer mehr aus der Landschaft verschwunden – und auch aus unseren Köpfen. Eine Entwicklung, die wir vielfach einfach hinnehmen und deren Folgen wir zu wenig hinterfragen. Das Enthornen ist auch in Biobetrieben erlaubt. Als Argumente für diese Entwicklung werden vor allem das leichtere Handling und die Verringerung des Verletzungsrisikos untereinander bei zu vielen Tieren auf zu engem Raum angeführt. Die Tiere werden also an die Haltungssysteme angepasst anstatt umgekehrt.

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„Haben Tiere eine Seele und Gefühle“ kann nur fragen, wer über keines der beiden verfügt.
(Eugen Drewermann)

Vor etwa zwanzig Jahren, vor allem im Zusammenhang mit der Umstellung von Anbindehaltung auf „Freillauf“stallungen hat der Trend begonnen, Rinder (und auch andere horntragende Tiere) zu enthornen. Mittlerweile tragen nur noch weniger als 20 % der Rinder in unseren Ländern Hörner! War bis vor wenigen Monaten bzw. Jahren zumindest in der Werbung eine hornlose Kuh undenkbar, so hat nun auch die enthornte Kuh den Weg in die Werbemedien gefunden, wird mehr und mehr gleichsam zur Selbstverständlichkeit. Waren horntragende Rinder auf den Almen bislang Teil unserer Identität und Tradition, sind diese bereits nahezu verloren.

Etwas ethisch klar Abzulehnendes ist selbstverständlich geworden: In die körperliche Unversehrtheit von Tieren einzugreifen, nur, weil es unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung scheinbar so verlangen!

Es ist gut und notwendig, auch als KonsumentIn ein wenig genauer hinzusehen und zu hinterfragen….

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Wozu braucht die Kuh ihre Hörner?

Hörner – Ruhestifter in der Herde
Hörner sind für das Sozialverhalten der Tiere besonders wichtig. Sie haben Imponierfunktion und sind Rangzeichen, vor allem werden sie von der Kuh als Kommunikationsmittel eingesetzt. Die Kuh kennzeichnet damit ihre unsichtbare Zone des notwendigen Individualabstandes, den ihre ArtgenossInnen zu ihr einzuhalten haben. Durch ihre Körperhaltung, insbesondere die Stellung der Hörner durch Bewegung ihres Kopfes, kommuniziert sie ständig mit den anderen Herdenmitgliedern und bringt ihre momentane Befindlichkeit zum Ausdruck. Die anderen Rinder erkennen, ob und wie weit sie sich ihr konfliktfrei nähern können, dadurch werden Rangkämpfe mit Körperkontakt vermieden. Ein Drohen mit den Hörnern reicht, um die Rangstellung zu demonstrieren.

Zu Berührungen und Kämpfen kommt es bei Rindern erst, wenn Drohgebärden keinen Erfolg zeigen. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn die soziale Herdenstruktur durch ständigen Wechsel der Tiere gestört wird, wenn das Ausdrucksverhalten der Tiere durch zu engen Platz beeinträchtigt – und bzw. durch das Fehlen von Hörnern nicht deutlich erkennbar ist. Hörner sind Warnzeichen, die wesentlich helfen, Konflikteskalationen zu vermeiden.

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Kämpfende Stiere

Auseinandersetzungen mit Körperkontakt werden durch das Enthornen der Tiere nicht verhindert, im Gegenteil: Hinweise auf den nötigen Individualabstand sowie Drohgebärden werden von den anderen Herdenmitgliedern weniger deutlich gesehen, der jeweilige Rang muss in enthornten Herden häufiger geklärt werden. Dabei setzen sich vor allem die starken und schweren Tiere durch. In behornten Herden hingegen können alte, erfahrene Tiere trotz abnehmender Körperkraft ihren hohen Rang beibehalten, was sich wiederum positiv auf die Herdenstruktur und ihre Stabilität auswirkt. Eine solche Herde steht unter wesentlich weniger Stress als eine Herde von Kühen, in der die Tiere wegen der entfernten Hörnern ihre Grenzen immer wieder durch Rempeln und Puffen in den Bauch der Herdenmitglieder körperlich abstecken müssen.

Hörner – Pflegehilfe
Die Kühe setzen ihre Hörner auch gezielt zur Körperpflege ein – sie kratzen sich damit den eigenen Rücken und helfen auch befreundeten Artgenossinnen, indem sie diese mit ihren Hörnern an unterschiedlichen Körperstellen kraulen.

Hörner – die Verdauungshelfer
Hörner haben gemeinsam mit dem Verdauungstrakt für den gesamten Stoffwechsel der Tiere einen immense Bedeutung: Die Evolution hat bei den Rindern und vielen anderen Wiederkäuern Hörner hervorgebracht – sie erwärmen sich während des Wiederkauens und wirken während des gesamten Verdauungsprozesses als Stau- und Ableitungsorgane. Sie helfen damit dem Rind, die Aufschließung und Verarbeitung der zellulosereichen Nahrung in seinem komplexen Magen-Darmtrakt vollbringen zu können.

Behornte Kühe – gesündere Milch?!

© pixabayDie Anzahl der Laktose-/Milchunverträglichkeiten steigt ständig. Kann das mit dem Umstand zusammenhängen, dass die Milch derzeit zum überwiegenden Teil von enthornten Rindern stammt? Es gibt derzeit einige Forschungsarbeiten zu diesem Thema, den klaren wissenschaftlichen Zusammenhang, dass die Hörner Einfluss auf eine höhere Milchqualität und damit auf die bessere Verträglichkeit bei den KonsumentInnen haben, aber (dzt.) noch nicht. Was allerdings klar nachweisbar ist: Milch von Kühen mit Hörnern weist eine deutlich andere Kristallstruktur auf als jene von enthornten Tieren.

Von der Würde der Tiere

Jedes Lebewesen hat die ihm eigene Würde, die Teil seiner Persönlichkeit ist. Klarer Ausdruck ihrer Würde sind bei Rindern ihre Hörner. Man muss nur beobachten, (wenn man das Glück hat, noch behornte Tiere zu sehen) wie vielfältig und ausdrucksstark sie sind.

Die Kuh trägt ihre Hörner als Ausdrucks- und Kommunikationselement, sie klärt damit ihren Rang ab, ohne die Hörner körperlich einsetzen zu müssen, trägt sie selbstbewusst, manchmal auch drohend oder beschwichtigend. Die Vielfalt der unterschiedlichen Formen, der verschiedenen Längen und Färbungen dieser imposanten Körperteile des Rindes faszinieren jede/n interessierte/n Beobachterln. Hörner wachsen ein Kuhleben lang. Gerade bei älteren Tieren kann man besondere Drehungen beobachten – und meist ungleiche Längen des rechten und linken Hornes. Aus den Furchen der Hörner kann man Stoffwechselbelastungen, die im Lebensverlauf auf Krankheit, Trächtigkeit oder die Fütterung zurückzuführen sind, erkennen.

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Schottisches Hochlandrind

In vielen alten Kulturen waren die Hörner, vor allem auch wegen ihrer wichtigen Funktionen beim Stoffwechsel, Symbol für Lebenskraft.

Betrachtet man ein horntragendes Rind, so hat man den Eindruck großer Harmonie – sowohl, was das Verhalten beim Wiederkäuen oder die Interaktion mit ArtgenossInnen betrifft, als auch bezüglich des Exterieurs: Der quaderförmige Körper und der behornte Kopf erscheinen im Gleichgewicht. Anders bei enthornten Rindern: Sie wirken in ihrer Gesamterscheinung – das, was sie sind – beschnitten.

Vor allem der Kopf erhält bei allen(!) Rindern, deren Hörner entfernt wurden, eine unnatürlich aussehende, spitze Form – das Stirnbein erhöht sich massiv. Ruft man sich die Bedeutung der Hörner für den Stoffwechsel der Tiere in Erinnerung, liegt der Schluss nahe, dass diese auffallende Stirnbeinerhöhung in engem Zusammenhang damit steht, das Fehlen der Hörner und die damit einhergehende Beeinträchtigung des Gleichgewichtes bei Verdauung und Gasaustausch auszugleichen.

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Direkter Vergleich der Schädelform einer ent- und einer behornten Kuh

Wissenschaftliche Arbeiten dazu sind derzeit nicht bekannt, dazu besteht noch großer Forschungsbedarf. Ebenso zu der Frage, ob diese unnatürliche Kopfverformung als Folge der Hornentfernung zu erhöhtem Druck im Kopf und damit zu (ständigen?!) Schmerzen der Tiere führt.

Wie sieht es rechtlich aus?

Sowohl EU-Recht als auch die österreichische Rechtslage lassen das Enthornen zu. Schmerzausschaltung bei dieser Prozedur wird auf EU Ebene lediglich bei der Biohaltung gefordert! Auch In Österreich ist es zulässig, Kälbern innerhalb der ersten zwei Lebenswochen ohne Schmerzausschaltung die Hornansätze auszubrennen….

Selbst in österreichischen Biobetrieben wird enthornt! Lediglich der „Demeterverband“ sowie „Neuland“, die Initiative „Horn auf“ der KAG Freiland und meherere kleinere Initiativen verbieten ihren Mitgliedsbetrieben das Enthornen. Nur einige wenige weitere Bioverbände grenzen das Hornentfernen auf begründete Ausnahmefälle ein.

Enthornen von Ziegen

© pixabayDer Trend des Enthornens setzt sich nun auch bei Ziegen zunehmend durch! Argument hierfür ist das erhöhte Verletzungsrisiko der Ziegen untereinander, da auch diese Tiere nun auf zu engem Raum gehalten werden.

Eine Übergangsbestimmung in Österreich, die das Enthornen von Ziegen noch 2015 zuließ, ist zwar Ende 2015 abgelaufen, sodass das Enthornen in Österreich derzeit verboten ist! Die Praxis vermittelt allerdings ein anderes Bild. Dem Vernehmen nach gibt es starke Signale, dass dieser Eingriff künftig erlaubt werden soll. Ein weiterer Schritt zur Effizienzsteigerung auf Kosten der Tiere.

Die zentralen Frage

Ist es vertretbar, Tiere zu verstümmeln, um sie an die von uns geschaffenen Rahmenbedingungen anzupassen?
Oder anders gefragt: Wer gibt uns das Recht, Rindern und Ziegen wichtige Körperteile abzuschneiden bzw. auszubrennen, um unsere Bedürfnisse bequem zu befriedigen?

Die zentrale Antwort

Niemand. Wir nehmen uns dieses Recht, aber wir haben es nicht!

 

Quellen:
Dossier zum Projekt „Horn auf!“ KAGfreiland, August 2010, CH und http://www.kagfreiland.chM
natürlich – Magazin für ganzheitliches Leben, http://www. natuerlich-online.ch
Positionspapier der Tierschutzombudsstelle Wien, März 2015
Lebendige Erde, http://www.lebendigeerde.de
BauernZeitung.at, http://bz2012.netletter.at und http://www3.bauernzeitung.at/index.php
Martin Ott, Kühe verstehen, ISBN 978-3-03781-0
Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, März 2015 “ Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“

 

Ing. Dr. Karin Büchl-Krammerstätter

© Ing. Dr. Karin Büchl-Krammerstätter

Ingenieurin der technischen Chemie und Juristin. Sie ist seit mehr als 20 Jahren in leitender Funktion im Umweltbereich tätig, davon acht Jahre lang als erste Umweltanwältin von Wien. Seit 2013 ist sie Ehren-Senatorin an der Universität für Bodenkultur Wien, wo sie von 2003 bis 2013 dem Universitätsrat angehörte. Sowohl beruflich als auch privat setzt sich Karin Büchl-Krammerstätter für den respektvollen Umgang mit anderen Lebewesen ein. Sie ist Gründerin des Vereins „Born mit Horn“ (www.bornmithorn.at)

 

Hinweis:

Am 8. November 2016, 18.00 Uhr, findet im RadioKulturhaus eine öffentliche Diskussionsveranstaltung unter Moderation von Johannes Kaup/Ö1 zum Thema „gefördertes Tierleid“ statt. Derzeit werden noch immer österreichische Gelder dazu verwendet, in Nicht-EU Staaten Massentierhaltungsbetriebe zu fördern, die weit unter den österreichischen und EU-Standards liegen! Damit werden nicht nur ökologisch und tierethisch absolut abzulehnende Unternehmen unterstützt sondern auch der heimische Markt konkurrenziert! Nach Impulsreferaten durch Nicolas Entrup, dem international anerkannten Tierschutzcampaigner und Josef Plank, dem Präsidenten der österreichischen Landwirtschaftskammer, folgt eine Podiumsdiskussion zu den unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten – und Notwendigkeiten von Banken, der Politik, der Interessensvertretungen, der öffentlichen Hand und der privaten KonsumentInnen.

Am 9. November 2016 folgt eine Fachtagung „Vom Beisl bis zum Haubenlokal – Tierwohlstandards bei Gastronomie, Hotellerie und Gemeinschaftsverpflegungen“ im Impact Hub Vienna, 1070 Wien, Lindengasse 56, Beginn: 10.00 Uhr.

Beide Veranstaltungen werden von der Initiative „Gutes Gewissen – Guter Geschmack“ der Stadt Wien organisiert. Mehr zur Fachtagung unter http://www.amv.wien.at/?k=g45jgt, zur Diskussionsveranstaltung unter http://www.amv.wien.at/?k=6hz5zp.

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Ein Artikel von der Ethik.Guide-Redaktion
veröffentlicht am 19.09.2016
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