Geht Ayurveda auch vegan?

Unsere Gastautorin Nadine Webering ist Fachärztin für Neurologie, Ärztin für traditionelle indische Medizin, Yoga-Lehrerin, Buchautorin und Dozentin. Sie vereint mit ihrer Expertise nicht nur unterschiedliche Welten und Medizinsysteme, sondern hebt mit ihrer veganen Lebensweise den Ayurveda auch in eine neue Zeit. Traditionell spielt im Ayurveda insbesondere Ghee (aus Butter) eine zentrale Rolle. Nadine beantwortet in ihrem Gastartikel die Frage, ob Ayurveda und ayurvedische Ernährung denn auch rein pflanzlich möglich sind.

Hast du schon mal von Ayurveda gehört? (Foto: Nadine Webering)

Geht Ayurveda auch vegan? Das ist eine Frage, die mir oft gestellt wird und die ich immer mit einem deutlichen JA beantworte. Aber vorab möchte ich dir gerne erst mal eine Idee geben, was Ayurveda eigentlich ist.

Ayurveda – das Wissen vom Leben

Ganz traditionell gesehen ist der Ayurveda das indische Medizinsystem, welches seine Blüte hatte, bevor die Allopathie, also die westliche Medizin, von den Engländern in Indien etabliert wurde. Nach einer Ära der Vergessenheit bekommt Ayurveda heute nicht nur in Indien wieder mehr Aufmerksamkeit. Das liegt vor allem daran, dass dieses Jahrtausende alte Gesundheitssystem nicht nur das Ziel hat, Krankheit zu heilen, sondern vor allem zu verhindern. Und darüber hinaus ist es eine Lebensphilosophie, die auf dem Wissen der Vorgänge in der Natur basiert und daher immer und überall anwendbar ist. Ayurveda hilft dir, in allen Bereichen deines Lebens in deiner ganz individuellen Balance zu bleiben und nach deinen eigenen Bedürfnissen zu leben.

Daher betreffen ayurvedische Empfehlungen nicht nur die Ernährung und Verordnung von Behandlungen, sondern auch den Lebensstil, die Art, wie wir arbeiten, unsere Beziehung führen, schlafen und uns bewegen. Es gibt meiner Meinung nach kaum ein ganzheitlicheres System für die Gesundheit als den Ayurveda.

Da wir aber natürlich aus dem bestehen, was wir essen, hat die Nahrung im Ayurveda einen hohen Stellenwert. Es gibt ganz generelle Empfehlungen, die für jeden in gleichem Maße gültig sind und darüber hinaus Empfehlungen, die individuell angewandt werden, je nach den Beschwerden, die dich plagen. Aus Sicht des Ayurveda sind wir alle individuell. Was für den einen gut passt, kann für den anderen tatsächlich schädlich sein. Ernähren wir uns aber unseren Bedürfnissen entsprechend und führen wir ein Leben, das zu uns passt, verspricht der Ayurveda ein langes Leben in völliger Gesundheit.

Ein traditionell wichtiges Heilmittel im Ayurveda ist Ghee, also geklärte Butter (Foto: Nadine Webering)

Butter kann durch nichts ersetzt werden?

In den Empfehlungen zur typgerechten Ernährung werden auch tierische Produkte betrachtet und auch einige ayurvedische Medikamente enthalten diese. Ein traditionell wichtiges Heilmittel im Ayurveda ist zum Beispiel Ghee, also geklärte Butter. Diese wird zum Kochen genutzt, aber auch als Basis für verschieden innerlich und äußerlich angewandte Medikamente. Also nein, Ayurveda ist definitiv nicht vegan.

In mein Leben kam der Ayurveda erst, nachdem ich mich aus ethischen Gründen für eine vegane Ernährung und auch Lebensweise entschieden habe. Das bedeutet, ich verzichte nicht nur auf Lebensmittel tierischen Ursprungs, sondern achte auch bei Kleidung, Kosmetika und den Dingen des alltäglichen Lebens immer streng darauf, dass kein Tier Leid erfahren musste für meinen Luxus. Daher gab es für mich von vornherein keine Alternative, ich musste einen Weg finden, den Ayurveda für mich vegan zu interpretieren.

„Ich glaube fest daran, dass die alten Weisen des Ayurveda heute vegan praktizieren würden, wenn sie wüssten, wie wir mit unseren Nutztieren umgehen.“

Bei vielen KollegInnen, vor allem denen, die traditionell Ayurveda in Indien studiert haben, stieß ich mit meinen Fragen, was denn Alternativen zu Ghee und Co. wären, auf taube Ohren. „Das geht nicht.“ oder „Dann funktioniert Ayurveda nicht.“ bekam ich immer zur Antwort. Aber auf Kosten der Tiere ging es für mich nun mal nicht. Und darum habe ich mir meine eigenen Gedanken gemacht.

In der Zeit, in der die wichtigsten ayurvedischen Schriften entstanden sind, auf die wir uns heute noch berufen, gab es noch keine Massentierhaltung. Es wurden keine Küken geschreddert oder Kälbchen von ihren Müttern direkt nach der Geburt getrennt, weil sie das Pech hatten, Kind einer Milchkuh zu sein. Tiere haben zu dieser Zeit im Haushalt der Familien gelebt und es gab zum Beispiel nur Milch, wenn die Kuh ein Kalb hatte und etwas übrig blieb. Zudem wird im Hinduismus, der indischen Religion, die Kuh als heilig gesehen und entsprechend behandelt. All das ist heute nicht mehr der Fall. Und ich glaube fest daran, dass die alten Weisen des Ayurveda heute vegan praktizieren würden, wenn sie wüssten, wie wir mit unseren Nutztieren umgehen.

Eine ausgewogene Ernährung ist auch ohne Tierprodukte möglich (Foto: Nadine Webering)

Die Energie der Nahrung

Im Ayurveda glauben wir daran, dass wir nicht nur die Bestandteile unserer Nahrung verdauen müssen, sondern auch ihre Energie. Es gibt ganze Kapitel darüber, wie wichtig die Intention ist, mit der wir kochen und die Reinheit der Küche. Wie sollen wir aber dann ein Lebensmittel verdauen, das mit so viel Leid und Gewalt erzeugt wurde, wie unsere heute verfügbaren tierischen Produkte?

Das ist meiner Meinung nach nicht möglich und darum mein ganz klares JA! Ayurveda geht vegan. Oder noch besser: Ayurveda muss vegan sein. Alles andere würde den ayurvedischen Prinzipien völlig widersprechen.

„Wie sollen wir […] ein Lebensmittel verdauen, das mit so viel Leid und Gewalt erzeugt wurde, wie unsere heute verfügbaren tierischen Produkte?“

Und auf die Frage, ob denn nicht wichtige Dinge in der Ernährung und Medizin fehlen, wenn ich auf tierische Produkte verzichte, kann ich aus eigener Erfahrung sagen NEIN!
 Es bedarf eines guten Verständnisses der Wirkung der einzelnen Lebensmittel auf den Körper. Milch zum Beispiel wirkt nährend und kühlend. Das tun aber ganz viele andere Lebensmittel auch. So kannst du statt Ghee in der Küche auch Kokosöl nutzen, da es ebenfalls nährt und kühlt. Und wenn ich jetzt nicht aufpasse, kann ich noch ewig über die Alternativen in der veganen Küche schreiben, aber das soll hier ja kein Fachartikel werden.

Was mir wichtig ist: Wir dürfen den Ayurveda neu interpretieren und an die Gegebenheiten unserer Welt anpassen. Geht nicht, gibts nicht, das war schon immer meine Devise. Es bedarf einfach nur ein wenig Offenheit und Recherche.

Tipp

Und wie das in der Praxis geht, zeigen wir dir demnächst mit unserem Rezept des Monats: Ayurvedisches Kitchari mit Süßkartoffeln und Spinat. Stay tuned.

Dr. med. Nadine Webering hat lange in einer leitenden Position als Neurologin im Krankenhaus gearbeitet, bis sie sich entschieden hat, ihrer Passion zu folgen und wirklich etwas im Leben von Menschen zu verändern.

Als Fachärztin für Neurologie und Ärztin für traditionelle indische Medizin vereint sie ihre Expertise aus unterschiedlichen Welten und leitet heute ein erfolgreiches Online-Gesundheitsunternehmen, ist Buchautorin, Speakerin, Dozentin und Business-Mentorin.

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Ein Artikel von der Ethik.Guide-Redaktion
veröffentlicht am 26.04.2022
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