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Reparieren ist das neue Kaufen

Achtung, dieser Post ist bereits aus dem Jahr 2021. Einige Informationen könnten veraltet sein.

Waschmaschine kaputt? Geschirrspüler kaputt? Ist die Reparatur teurer als der Neukauf des Geräts? Nicht mehr! Die Stadt Wien hat gemeinsam mit dem Reparaturnetzwerk Wien eine Initiative gestartet: Der Wiener Reparaturbon. Barbara Reinwein von der MA22, der Wiener Umweltschutzabteilung, erzählt im Interview über die Initiative.

Die Waschmaschine „Esmeralda“ und der Geschirrspüler „Franz“ dürfen dank Reparaturbon noch ein paar Jahre im Kreise der Familie verweilen. (Foto: Pexels, Rodnae Productions)

Der Wiener Reparaturbon fördert 50 Prozent der Reparaturkosten bis zu einem Betrag von 100 Euro. Außerdem wird der Förderbetrag sofort von der Rechnung abgezogen und muss nicht kompliziert eingereicht werden. So ist die Reparatur nicht nur ökologisch ein Gewinn sondern entlastet auch noch deine Geldbörse. Neben Elektrogeräten können auch Kleidung, Möbel und mehr repariert werden lassen.

Wir haben Barbara Reinwein von der MA22 zum Reparaturbon befragt:

Was war der Anlass zu der Entwicklung der Reparaturbons? Gab es Vorbilder?

Unser derzeitiges wirtschaftliches Handeln verbraucht enorme Mengen an Energie und Ressourcen.

Reparatur und Reparaturdienstleistungen stellen dabei einen wesentlichen Faktor bei der Entwicklung hin zu einer ressourceneffizienten Kreislaufwirtschaft dar. Reparieren reduziert die Umweltauswirkungen, generiert lokale Wertschöpfung und Arbeitsplätze. So schätzt der Europäische Dachverband RREUSE das Jobpotential durch Re-Use (und damit auch Reparatur) für Europa mit rund 300.000 Personen ein. Für das Refurbishment von 1.000 Tonnen Elektrogeräte wird ein Jobpotenzial von bis zu 200 Jobs angeführt.

Die Produktion neuer Güter benötigt wesentlich mehr Ressourcen, als das eigentliche Produkt repräsentiert. Eine Waschmaschine, die etwa 70 Kilogramm wiegt, verbraucht von der Herstellung bis zur Entsorgung rund 1.400 Kilogramm an Material. Das ist das 20-Fache des Eigengewichts und etwa so schwer wie ein Mittelklassewagen. Selbst unter Berücksichtigung des geringeren Energieverbrauchs eines neuen Gerätes rechnet sich der Ersatz einer alten Waschmaschine aus ökologischen Gesichtspunkten frühestens nach 17 bis 23 Jahren. Dennoch ist der Sektor „Reparatur von Gebrauchsgütern“ (NACE-Sektor) kaum von gesamtwirtschaftlicher Bedeutung. Vergleicht man die Umsatzerlöse aus dauerhaften Konsumgütern (z.B. Haushalts- und Unterhaltungsgeräte, Möbel, Schmuck), die im Jahr 2016 bei 12,9 Mrd. € lagen, so lagen die durch Reparaturnachfrage ausgelösten Umsatzerlöse für Reparaturen von Gebrauchsgütern lediglich bei rund 0,3 Mrd. € bzw. 2,3 %. Aus Sicht der KonsumentInnen ist der Neukauf von Gegenständen – im Vergleich zur Reparatur – in den meisten Fällen die finanziell attraktivere Variante, da unter anderem der Preis einen Hauptfaktor für die Entscheidung zwischen Neukauf oder Reparatur darstellt.

Aus ökologischer Sicht sollte daher der Verlängerung der Lebensdauer von Gegenständen gegenüber dem Neukauf der Vorzug gegeben werden, da so die Ziele Ressourcenschonung und Abfallvermeidung erreicht werden. Oftmals wird jedoch gar nicht versucht, einen Gegenstand reparieren zu lassen, da die Kosten für eine Neuanschaffung zumeist unter den Kosten einer Reparatur liegen. Durch finanzielle Förderung von Reparaturen wird die Entscheidung zwischen dem Neukauf eines Gutes und der Reparatur zugunsten der Reparatur beeinflusst. Somit wird die Anzahl nachgefragter und durchgeführter Reparaturen gesteigert.

Reparatur ist ein zentraler Bestandteil der Kreislaufwirtschaft – ein Ausweg aus der Wegwerfwirtschaft. (Foto: Pixabay, dokumol)

Die Stadt Wien unterstützt seit nunmehr über 20 Jahren das Reparaturnetzwerk Wien (RNW). Das RNW stellt einen freiwilligen Zusammenschluss spezialisierter Reparaturbetriebe dar, die sich zu bestimmten Qualitätskriterien verpflichtet haben. Betriebe des RNW stellen die Reparatur von Gütern in den Vordergrund. 50 % der Arbeitsplätze in diesen Betrieben stellen Reparaturarbeitsplätze dar und tragen zur Wertschöpfung in Wien bei. Im Schnitt der letzten 20 Jahre wurden im RNW jährlich etwa 50.000 Reparaturen durchgeführt. Jedes Jahr konnten im Schnitt rund 600 Tonnen Abfälle vermieden und Rohstoffe und CO2 gespart werden. Durch das Förderprogramm wird die Anzahl nachgefragter Reparaturen in diesen Betrieben erhöht.

Ähnliche Programme zur Förderung von Re-Use gibt es auch in anderen (Bundes)ländern. Das Einzigartige am Wiener Modell ist jedoch, dass die Konsument*innen keinerlei zusätzlichen Aufwand mit der Beantragung der Förderung haben, da die Abwicklung über die Betriebe vonstattengeht. Konsument*innen profitieren daher unmittelbar und direkt.

Wovor hatten Sie zunächst Angst? Haben sich Ihre Ängste bestätigt?

Der Umsetzung des Programms ging eine intensive Planung voraus. Es gab keine Ängste.

Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis? Wie sieht die Zukunft der Reparaturbons aus? Wie planen Sie in der Zukunft noch mehr Menschen zur Nutzung zu motivieren?

Der erste Aktionszeitraum hat gezeigt, dass die Menschen großes Interesse und großen Bedarf am Reparieren haben. Innerhalb weniger Wochen wurden über 10.000 Bons heruntergeladen und mehr als 9.000 Produkte repariert. Die CO2-Einsparung liegt bei rund 216 Tonnen. Unsere Erwartungen wurden somit mehr als erfüllt.

Die Menschen sind motiviert, ihre defekten Gegenstände reparieren zu lassen und damit ihren persönlichen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Um sie dabei zu unterstützen, startete mit März der aktuelle Aktionszeitraum. Mit an Bord sind zahlreiche neu hinzugekommene Betriebe, bei denen man den Wiener Reparaturbon einlösen kann.

Es gibt einige Kritik an den Kriterien für die Auswahl der Werkstätte. Wie würden Sie dieser entgegentreten?

Die Konzentration auf Betriebe des Wiener Reparaturnetzwerks garantiert die hohe Qualität der Reparaturarbeiten, welche unbestritten im Sinne der Kund*innen ist.

Die Kriterien, die Betriebe für eine Aufnahme ins RNW erfüllen müssen, sind unter anderem ein Garant für die hohe Qualität der Reparaturen im Netzwerk:

50 % der Arbeitsplätze müssen Reparaturarbeitsplätze sein:

Im Reparaturnetzwerk sind Betriebe vernetzt, für die Reparatur die wesentliche Säule des Geschäftsmodelles darstellt. Das stellt sicher, dass das Reparatur-Knowhow im Betrieb hoch ist und nicht leichtfertig zum Kauf von Neugeräten geraten wird. Dies spiegelt sich auch in den derzeitigen Daten, die im Rahmen des Förderprogramms erhoben wurden, wider: Bei ca. 90 % der eingelösten Reparaturbons konnte erfolgreich eine Reparatur durchgeführt werden.

Der Reparaturbetrieb muss mindestens drei unterschiedliche Marken reparieren:

Hierdurch wird gewährleistet, dass der Reparaturbetrieb unabhängig von Herstellerinteressen agieren kann. Gleichzeitig wird hierdurch das Reparatur-Knowhow der Betriebe verbessert.

Kostenvoranschläge sind mit € 45 begrenzt:

Die Betriebe garantieren, dass die veranschlagten Kosten nicht überschritten werden, bei sonstigem Rücktrittsrecht der Kund*innen. Dies bietet Kostensicherheit für die Bürgerinnen und Bürger und erhöht gleichsam die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit dem „Erlebnis“ Reparatur.

Seit Beginn des Förderprogramms hat sich die Anzahl der Mitgliedsbetriebe im RNW wesentlich erhöht, ein Trend, der sich aus derzeitiger Sicht jedenfalls fortsetzen wird.

Jeder Betrieb, der die Kriterien erfüllt, kann um Aufnahme ins Reparaturnetzwerk ansuchen und danach auch am Förderprogramm teilnehmen. Ein durch das RNW eingerichteter Beirat, der unter anderem mit Vertreter*innen der Betriebe, Expert*innen aus dem Bereich Nachhaltige Entwicklung und anderen Interessensvertretungen besetzt ist, entscheidet über die Aufnahme neuer Mitgliedsbetriebe ins RNW.

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Ein Artikel von der Ethik.Guide-Redaktion
veröffentlicht am 8.04.2021
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