Der Pestizidatlas 2022 – Ein Überlick
Information ist Alles
Spätestens seit dem Bestseller “Silent Spring” von Rachel Carson aus 1962 kennt die globale Öffentlichkeit die Gefahren der Pestizidanwendung. Die weltweite Umweltbewegung weist unermüdlich auf die massiven Auswirkungen der Ackergifte auf die Natur hin, auf die Schädlichkeit für Insekten, Pflanzen und Menschen sowie die Kontaminierung von Gewässern und weit entfernt gelegenen Wohnbereichen. Die großen Erzeuger dieser Chemikalien sprechen zwar immer wieder von Verbesserungen ihrer Produkte und die Politik verweist hie und da auf Bemühungen um eine Reduktion der verwendeten Mengen. Tatsache jedoch ist und bleibt, dass weltweit immer mehr Pestizide in Verwendung sind und auch die Wirksamkeit der Stoffe steigt. Was sich deutlich aus dem Pestizidatlas ablesen lässt, ist, dass am Ende des Tages die Wirtschaftsinteressen und die weltweiten politischen Entscheidungen den Einsatz von giftiger Chemie in der Landwirtschaft bestimmen. Daher muss die Bevölkerung entsprechend informiert sein, um gezielt Einfluss auf die Politiker nehmen zu können. Der Pestizidatlas mit seinen 50 informativen Beiträgen eignet sich dazu hervorragend.
Pestizide – ein weltweiter Riesenmarkt
Der Vertrieb von Pestiziden weltweit ist ein Milliardengeschäft einiger weniger Unternehmen wie Bayer, Monsanto und Syngenta. Entsprechend intensiv ist das Lobbying in der Politik, denn Gesetze gegen Pestizide bedeuten große Umsatzeinbußen. Monsanto hat 2016 satte 14.5 Millionen Euro für politische Einflussnahme ausgegeben. Und zwar nur für Glysphosat-Lobbyarbeit! Viel Geld wird auch verwendet, Studien entsprechend “aufzubereiten”, sodass sie positiver für die Firmen ausfallen. Von 53 Studien zur Gentoxizität, die bei den EU-Behörden eingereicht wurden, sind 2019 bei einer unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchung nur 2 dieser Studien als “wissenschaftlich zuverlässig” durchgegangen.
Der Markt verlagert sich immer mehr in den globalen Süden, wo die Klimakrise an Wetterextremen und Schädlingsbefall stark zu spüren ist und die Verwendung der Chemikalien noch kaum reguliert wird. In der EU nicht oder nicht mehr zugelassene Mittel werden einfach nach Afrika und Asien verkauft. In Westafrika zum Beispiel ist die Nutzung von Pestiziden in zehn Jahren um 177 Prozent gestiegen. Von diesen Märkten wollen auch heimische Unternehmen profitieren und so hat zum Beispiel die Linzer Esim Chemicals 2018 ganze 60 Tonnen in Europa nicht zugelassene Pestizide nach Südamerika verkauft. Leidtragende sind dort die Menschen, welche den Giften oft ungeschützt ausgesetzt sind. Die Unternehmen klären nicht oder nur ungenügend über die Gefahren bei der Verwendung auf und über 40 Prozent der LandwirtInnen können sich notwendige Schutzausrüstung schlicht nicht leisten. Bis zu 385 Millionen Menschen erleiden dadurch jährlich Vergiftungen, es gibt Tausende Todesfälle.
Der Blick der Jugendlichen auf Biodiversität, Pestizideinsatz und Umweltschutz war diesmal ein wesentlicher Aspekt des Pestizidatlas. 16 bis 29-jährige wurden dazu befragt und das Ergebnis zeigt, dass jungen Menschen sich besonders besorgt zeigen über die Verwendung von Pestiziden in der Landwirtschaft und die Untätigkeit der Politik. Ihnen ist Ökologie auf dem Acker und die Unterstützung der landwirtschaftlichen Betriebe wichtig. Nur 7 Prozent der 1131 Befragten gab an, dass ihnen diese Themen egal sind. Ihnen sind die langfristigen Gefahren bewusst und sie möchten etwas zum Wandel beitragen. 60 Prozent kaufen daher, wenn möglich Biolebensmittel. Die Hälfte der Befragten spricht sich für einen “Einsatz von Pestiziden als letztes Mittel” aus, 20 Prozent für ein generelles Verbot. Nur 1 Prozent würden alle chemischen Mittel zur Verwendung zulassen.
Die Entwicklung in Österreich
In Österreich wurden 2020 insgesamt 5.595 Tonnen reiner Pestizidwirkstoff auf Felder und Wiesen ausgebracht. Den größten Anteil machen mit 46 Prozent Herbizide aus, gefolgt von Fungiziden. Der Absatzmarkt ist seit 2012 ziemlich konstant geblieben, nur bei Insektiziden ist ein Anstieg zu verzeichnen. Seit 2015 sind 300 neue Pestizide zugelassen worden. Österreich ist im Bezug auf ökologischen Landbau in der EU Spitzenreiter mit 25,3 Prozent Anteil an der Agrarwirtschaft des Landes, mit einer Zunahme von 8 Prozent seit 2008. Das sind gute Nachrichten, aber was Pestizide angeht sind wir eher hinten gereiht. Vor allem hinkt Österreich beim Monitoring und der Erhebung von Daten hinterher. Dies erschwert epidemiologische Untersuchungen und die Evaluierung von Reduktionsmaßnahmen. Dies ist für politische Initiativen von Belang. In anderen Ländern funktioniert dies schon viel besser mit öffentlich zugänglichen Daten, um gezielter Maßnahmen und notwendige Veränderungen vornehmen zu können.
Umweltbelastungen lassen sich über lange Zeit nachweisen, auch wenn die Chemikalien schon längst nicht mehr zugelassen und in Gebrauch sind. Bei Untersuchungen in Bächen in Österreich wurden teilweise bis zu 38 verschiedene Pestizide nachgewiesen, davon bis zu 10 verbotene Chemikalien, so in der Stiefing in der Steiermark. In den letzten Jahren konnten in mehr als der Hälfte aller Flüsse in Österreich an die 60 Pestizidsorten nachgewiesen werden, darunter 15 hormonell wirksame Chemikalien. Und auch durch ein sofortiges Verbot aller Chemikalien würden wir diese nicht so schnell loswerden: Atrazin wurde 1995 verboten, trotzdem fanden sich noch 2015 Hauptabbauprodukte an diversen Messstellen.
Fazit
Es gibt auch gute Nachrichten. In Deutschland haben sich bereits 550 Gemeinden selbst dazu verpflichtet, gemeindeeigene Flächen ohne Pestizide zu pflegen und zu bewirtschaften. In Österreich sind das erfreuliche 466 Gemeinden, die sich zum biologischen Pflanzenschutz im gemeindeeigenen Einflussbereich bekennen. Der Anteil des ökologischen Anbaus an der Landwirtschaft in Österreich ist der höchste in der ganzen EU. Und aus dem Pestizidatlas konnten wir auch deutlich erkennen, dass sich die junge Generation sehr für diese Themen interessiert und bereit ist, sich zu engagieren. Das lässt auf eine Zukunft hoffen, in der die globale Agrarwirtschaft in Symbiose mit der Natur existiert, mit und von ihr lebt und unseren Artenreichtum schützt.