SOLAWI: Wie man die Lebensmittelversorgung revolutioniert (Teil 2)
Biovegan statt Kuhmist
In einem Gespräch erzählt der Gründer der SOLAWI Radix am Biohof Unger, Thomas, über seine Beweggründe für eine biovegane Landwirtschaft, wie man „Schädlinge“ fern hält und über den Alltag auf dem Hof. Das Gespräch wird inhaltlich, nicht wörtlich wiedergegeben.
Wie kam es dazu, eine SOLAWI zu gründen?
Nachdem Thomas‘ Eltern einen Hof mit Apfelanbau besitzen, war sozusagen die Grundlage gegeben. Der Weg zur SOLAWI führte über die biovegane Landwirtschaft. Thomas ist es ein Anliegen, direkt mit den Endverbrauchern in Kontakt zu stehen, ihnen die Möglichkeit des Miterlebens zu geben. Auf das Konzept der SOLAWI stieß er auf der BOKU, im Studium der Agrarwissenschaften. Um dieses zu verwirklichen, beschloss er mit seiner Partnerin, Iris, wieder in die Steiermark zu ziehen. Das ist nun ca. drei Jahre her. Für die eher kleine zur Verfügung stehende Fläche bot sich Gemüseanbau an, da ertragreicher. Eine biovegane SOLAWI entstand.
Warum biovegan?
Durch den Kurzfilm „Making the connection“ war für Thomas schnell klar, dass kein Weg an einer bioveganen Landwirtschaft vorbeiführt. Tiere oder deren Spuren sind demnach kein unabdingbarer Bestandteil für den Obst-, Gemüse- oder Getreideanbau. Seit Thomas 14 Jahre alt ist, ernährt er sich vegetarisch, seit 6 Jahren vegan. Die Idee, den Hof seiner Eltern zu übernehmen, war weniger begeisternd als der Wunsch, etwas Sinnvolles zu machen. Hinter biovegan steht nicht nur die rein pflanzliche Düngung, sondern auch die Idee Nützlinge zu fördern, also keine aktive Schädlingsbekämpfung vorzunehmen.
Insgesamt fördert man damit die Biodiversität und macht das Ökosystem weniger anfällig. Auf eine natürliche Art und Weise werden die Pflanzen zum Selbstschutz gestärkt. Jedoch braucht es dazu eine Vielfalt und nicht nur Kulturpflanzen, welche allein z.B. für alle Schnecken herhalten müssen. Dabei ist noch zu erwähnen, dass es sich um keine gezüchteten Nützlinge handelt, sondern um jene, die sich von selbst ansiedeln. Über besonders empfindliche Pflanzen werden Netztunnels gespannt.
Das Grundprinzip von biovegan ist also, dass man einmal ganz ohne Produkte tierischen Ursprungs auskommt. Siehe dazu unseren Artikel über die biovegane Landwirtschaft.
Wie funktioniert der Alltag?
Es gibt keine Mitarbeit von Mitgliedern, sie finanzieren den Betrieb und erhalten im Gegenzug ihren Ernteanteil – das ist der Deal. Für die landwirtschaftliche Arbeit sind Thomas (Vollzeit) und Iris (Teilzeit) hauptsächlich allein zuständig. Ihre Entlohnung wird in den Mitgliedsbeitrag eingerechnet. Bei „Arbeitsspitzen“, so Thomas, werden Fremdarbeitskräfte aus Ungarn herangezogen, wo es einfach mal mehr Hände braucht: Unkrautregulierung, manuelle Ernte. Bezahlung und Arbeitszeiten sind fair reguliert (im Gegensatz zu Großbetrieben in Österreich, siehe dazu Teil 1).
Donnerstags findet die Abholung der Anteile statt, also muss wöchentlich Gemüse geerntet werden – ein großer Teil des Arbeitsaufwandes.
Wichtig bei den notwenigen Tätigkeiten ist, dass genügend Raum für Freizeit bleibt. Obwohl Thomas und Iris nicht gerade wenig arbeiten, steht Selbstausbeutung nicht in ihrem Interesse und sie nehmen daher lieber in Kauf, dass mal nicht alles perfekt funktioniert. Meiner Meinung nach ein wichtiger Faktor, wenn man seinen Idealen folgen will. Niemandem ist geholfen, wenn das (Lebens)Projekt zur Qual wird. So behalten Thomas und Iris einen kühlen Kopf, stressen sich nicht, wenn einmal eine Kultur nicht gelingt. Bei der angebauten Gemüsevielfalt fällt dies ohnehin nicht ins Gewicht.
Wie viele Mitglieder umfasst das Projekt momentan? Gibt es noch Kapazitäten?
Die erste Saison der SOLAWI startete im Juni 2016, wobei zukünftige im April beginnen werden. Derzeit gibt es 48 bezogene Anteile, kalkuliert wurde für 60 SolawistInnen. In dieser Aufbauphase ist die geringere Anzahl momentan gerade richtig. Kapazitäten gibt es also erst wieder für die nächste Saison. Ein Anteil reicht übrigens für zwei Personen, die viel Gemüse essen. Daher ist es auch möglich einen halben Anteil zu beziehen. Unter dem Motto, dass Biolebensmittel kein Luxus und für jede Person verfügbar sein sollen, beträgt der Monatsbeitrag 110 €. Es handelt sich dabei um einen Richtwert – je nach Einkommen und Beitragshöhe soll eine Balance geschaffen werden. Die Idee besteht darin, dass frisches, gesundes Gemüse günstiger wird.
Wenn ich Mitglied werden möchte, wie mach ich das?
Die Anmeldungen starten wieder im April. Die Abholung des Ernteanteils erfolgt ab Hof, d.h. günstig vorwiegend für Leute aus einem Umkreis von ca. 15 km. Derzeit gibt es wie gesagt keine freien Plätze, da sich eine Pflege-, Wohn- und Tagesstätte für Menschen mit Behinderung ebenfalls angekündigt hat.
Die SOLAWI Radix übernimmt außerdem eine Vermittlungsrolle: Monatlich beigelegt werden Rezepte für das jeweilige Gemüse, wovon die SolawistInnen bisher sehr begeistert sind. Ein Mal im Monat bieten Thomas und Iris Führungen an, bei denen die Arbeitsweise vermittelt und ein Zugang geschafften wird.
Weitere Infos und Details zur SOLAWI Radix findet ihr hier im Ethik.Guide.
„Damit dem Kartoffelkäfer auch was bleibt“ – Ein Besuch auf dem Jölfhof
Im verschlafenen, langgezogenen Dorf Rábapatona nahe Györ leben Jörg und Ralf auf einem sogenannten altburgenländischen Streckhof, den sie vor neun Jahren gekauft haben. Hausgarten und Felder liegen sozusagen in einer Linie hinter dem Gebäude. Schon wenn man durchs Tor kommt, schwingt einem eine sehr entspannte, herzliche und friedliche Stimmung entgegen, ja erfüllt einen direkt.
Auf einer Erkundungstour durch den herbstlichen Hausgarten für den Eigenbedarf und das SOLAWI-Feld erzählen Ralf und Jörg von ihrer Lebens- und Arbeitsweise, Pflanzenkunde, Leidenschaften, Engagement sowie die Kontaktpflege mit NachbarInnen. Man merkt, dass sie sich bereits viel Wissen über verschiedene Pflanzenarten, Veredelung und Pflanzenschutz aneigneten, daher mit viel Know-How und Vorausdenken Garten sowie Felder bepflanzen. Dabei handelt es sich nicht um einen gewöhnlichen Garten. Neben den vielen gesetzten Pflanzen darf der „Beiwuchs“ ebenfalls parallel existieren und wird nicht mal mit Biomitteln bekämpft – und: es scheint zu funktionieren. Anstatt stark in die Natur einzugreifen, pflanzen sie lieber mehr je Kultur an. So können einerseits die besonders starken Pflanzen gefiltert werden, andererseits werden nur einige von Krabbeltieren gefressen: Dann hat der Kartoffelkäfer auch was davon – ein sehr sympathischer Ansatz.
Wir kosten Äpfel, Himbeeren, süße Pfefferoni – herrlich. Eine junge Katze begleitet uns, springt durchs hohe Gras, während Jörg Herzkarotten zeigt, die ganz anders als herkömmliche, sehr saftig und etwas weicher sind. Außerdem im Gemüsefeld zu finden sind Melanzani, Zucchini, rote Rüben, Rettich, Porree, Tomaten im Gewächshaus, besagte Pfefferoni, Knoblauch, Zwiebel, soweit ich sie mir merken konnte. Äpfel, Birnen, Nashi-Birnen (ein Mix aus Apfel und Birne, Pyrus pyrifolia), Himbeeren, Brombeeren, Quitten, Weichseln und Weintrauben wachsen im märchenhaften Obstgarten.
Motto: Es geht an’s Eingemachte
Eine Besonderheit bei dieser SOLAWI: Alles wird eingekocht. Das Lager umfasst tausende Gläser mit Marmeladen, Säften, Chutneys, Relish, Pesto, Sugo oder eingelegten Melanzani und Pepperoni. Die Gläser werden nach Verwendung eingesammelt, gewaschen und wieder verwendet. Nur die Metalldeckel kommen zum Recycling-Müll. Beschriftete Etiketten aus Papier werden mit selbst gemachtem Kleber aus einer Mehlmischung (vegan!) befestigt.
Die befüllten Gläser bringen Jörg und Ralf am Ende des Monats auf verschiedene Standplätze in und um Wien, wo sie dann von den SolawistInnen in einem Küberl abgeholt werden können. Diese Küberl stammen aus der Küche eines Altersheims, würden andernfalls weggeschmissen werden und finden so noch einen anderen Nutzen. Im Grunde versuchen Ralf und Jörg sehr nachhaltig zu leben und alles zu verwenden, was gerade da ist oder sie via Second-Hand bekommen.
Kapazitäten reichen bis zu 60 Ernteanteilen, jedoch sind auch hier erste wieder ab nächster Saison Plätze frei. Der Richtwert für den monatlichen Betrag für ein Küberl liegt bei 30 Euro. Je nach Wertschätzung und eigenem Vermögen kann dieser jedoch variieren. Die SolawistInnen sollen nicht nur mit den LandwirtInnen im persönlichen Kontakt stehen, sondern sich auch untereinander koordinieren, ja solidarisieren für eine andere Art des Landwirtschaftens. So können Personen oder Familien, denen es finanziell weniger gut geht, ebenfalls inkludiert werden und dieses System bewährt sich ausnahmslos, so Ralf.
Jörg und Ralf teilen sich ihr gemütliches Zuhause mit teilweise geretteten Hunden und Katzen.
Alle SOLAWI-Betriebe könnt ihr auf dieser Liste im Ethik.Guide finden.
Zum Weiter- oder Nachlesen
- Teil 1 dieser zweiteiligen Artikelreihe
- SOLAWI-Vernetzung
- Standard-Artikel: Erntehelfer
- SOLAWI oder CSA (Community Supported Agruculture)-Betriebe in Österreich: Karte
- Ernährungssouveränität